Mitten in der Millionenmetropole Toronto, zwischen den Wolkenkratzern, gibt es etwas Besonderes zu entdecken: das absolut liebenswerte, etwas verlotterte und ehemalige Verbrecherviertel Kensington Market. Ein Muss für Vintage-Freaks und Menschen, die das Besondere suchen.
Jason unser Stadtführer ist ein knuffiger Typ: handfest, immer einen Spruch auf den Lippen. Der 38-Jährige kann wirklich gute Tipps für Toronto geben und etwas erzählen über seine Lieblingsstadt.
„Fast wäre ich in den Rocky Mountains geblieben“, gesteht er zur Einführung und grinst. „Aber Toronto hat mir dann doch zu sehr gefehlt und als die Kids kamen, war die Entscheidung klar“, erklärt Jason, der lange als Guide in den Rockies gearbeitet hat. Wir gucken verwundert. Ist es doch bei uns gerade andersrum. Kommen die Kinder, ziehen viele ins Grüne. Grün ist Toronto auch, mit dem See vor der Haustür auch perfekt für Wassersportler. Strände gibt es auf Toronto Islands. Was will man mehr? Alles, was die Stadt sonst noch hat: Kunst, Kultur „und Multikulti“, ergänzt Jason. Bei uns funktioniert es. Fast perfekt in Kensington Market, etwa das Viereck zwischen Spadina Avenue, Dundas, Bathurst und College. Street.
Wir haben Glück und den ersten Auto freien Tag der Saison erwischt. Menschen aus aller Welt bevölkern die Straße. Musikanten, Puppenspieler und Akrobaten zeigen, was sie können. Perfekte Kulisse bilden die quietschbunten, kleinen Häuschen, die sich aneinander kuscheln. Alles wirkt ein wenig verlottert, aber dafür ums so liebenswürdiger und einfach sympathisch. Boutiquen verkaufen Unikate (Spielzeug und Klamotten), Brote und Kuchen von Cafés und Bäckereien sind hausgemacht. Leider war ich etwas unter Zeitdruck, weil mein Flieger ging, so dass das Bummeln etwas sehr kurz ausfiel.
Ich fühle mich sofort super wohl. Mal ein anderes Bild von der Stadt, wo ansonsten auf jeder freien Fläche gesichtslose Hochhäuser hochgezogen werden. Wie Jason wollen alle in der Stadt wohnen, was ich auch gut verstehen kann. In Kensington Market geht es noch entspannter zu als sowieso in Kanada. Ja, das ist möglich.
Internationale Ketten gibt es in Kensington Market keine. „Selbst Starbucks ist grandios gescheitert“, freut sich Jason. Die Gemeinschaft hält zusammen. Noch haben Luxus-Sanierungen keine Chance, vermögende Schicki-Mickis sind unerwünscht. Hoffentlich bleibt das auch so. Abschreckende Beispiele kennt ja jeder.
Früher war Kensington die Hölle. Immigranten aus Schottland und England und auch russische Juden hausten auf engstem Raum, zusammen mit Verbrechen, Gewalt, Hunger und Armut. Wer nicht weiß, englisch und konservativ war, hatte keinen Zugang zur feinen, kanadischen Gesellschaft.
Heute heißen Einwanderer nicht mehr Immigranten, sondern Neu-Kanadier, um schon
von vornherein eine Stigmatisierung auszuschließen. Käme bei uns niemand auf die Idee, Einwanderer Neu-Deutsche zu nennen. Da fängt es schon an.
Aber die Menschen damals im Ward, wie das Viertel damals hieß, berappelten sich, eröffneten kleine Geschäfte. Wer genug Geld hatte, zog weg. Neue Einwanderer aus Europa, Afrika und der Karibik waren dankbar für billigen Wohnraum. In jüngster Zeit kamen Künstler, die sich von den anderen Kulturen und dem besonderen Flair inspirieren lassen. Kleine Galerien verkaufen Bilder, Skulpturen und Schmuckstücke.
Was für Menschen leben hier? Wie sind ihre Geschichten? Ich war schon sehr genervt
und traurig, dass ich das Viertel im Schnelldurchlauf machen musste. Gerne hätte ich auch Rasta-Pasta aus der jamaikanisch-italienische Küche probiert oder „Thaigary“ einen Mix aus thailändischen und ungarischen Köstlichkeiten.
Zum Abschluss spendiert Jason Butter-Tarts, Küchlein mit einer Füllung aus gebranntem Zucker und ur-kanadisch. Süß, klebrig und sehr lecker.
Kanada hat es mir eh angetan, aber Toronto auch. Ich komme wieder. Bald.
Die rund zweistündige Tour bietet Urban Adventures an und kostet etwa 24 Euro.
Die Reise wurde unterstützt vom Fremdenverkehrsamt Toronto. Danke dafür!
Auf deren Webseite gibt es auch Informationen über die tolle Stadt.