Pochende Kopfschmerzen, starke Übelkeit, Appetitlosigkeit, Fieber – ich kenne die Symptome der Höhenkrankheit von einem Rucksacktrip nach Bolivien – und trotzdem denke ich keine Sekunde darüber nach, nicht in den kargen, hohen Norden Indiens zu reisen. Papperlapapp, denk‘ ich mir, das schaffst du schon! Schließlich ist es schon lange ein großer Traum von mir, endlich Richtung Himalaya zu reisen. Und Ladakh liegt mit seinen hohen Bergketten, zerklüfteten Tälern und teilweise unzugänglichen Hochplateaus mitten im Transhimalaya, am nordwestlichen Rand des Himalaya-Massivs.
Die Höhe in Ladakh Das „Land der hohen Pässe“ ist aber auch eines der höchstgelegenen bewohnten Gebiete der Erde. So merke ich direkt, als wir auf dem überschaulichen Militärflughafen in Leh, der kleinen Hauptstadt des Landes, landen, dass die Höhe von rund 3500 Metern nicht ohne – und vor allem nicht zu unterschätzen ist. Das Atmen beim Kofferziehen fällt schwerer, das Herz schlägt schneller und der Kopf pocht auch schon langsam, aber sicher … Der Körper passt sich meist nur langsam an diese doch körperliche Herausforderung an, egal ob du nun Hochleistungssportler bist oder nicht. Deshalb rät uns Rudy, unser Shakti-Guide aus der Tee-Stadt Darjeeling in Westbengalen, auch direkt, es am ersten Tag gaaaanz langsam und ruhig angehen zu lassen. Keine langen Wanderungen, einfach relaxen… Was schwer fällt, wenn man gerade irgendwo angekommen ist – und die Berge, Flüsse und Felder rufen. „Und vor allem müsst ihr täglich so viel Flüssigkeit in ccm trinken, wie die Höhe beträgt: In Leh sind das also rund 3,5 Liter“, erklärt der sportliche 23-Jährige, der die hohen Treppen der Klöster später nur so hochspringt. Als er von mir hört, dass ich zuhause ab und zu Migräne hab‘, ist er immer wieder bei mir – und fragt ständig, wie es mir geht – und ob ich Fieber habe. Und der Kopf pocht wirklich in den ersten zwei Tagen ganz ordentlich, ebenso will der Appetit nicht kommen, obwohl das meist vegetarische Curry im Shakti-Dorfhaus Shey super ist. So kommt es auch, dass Rudy mir am zweiten Reisetag die „Wunderpille“ Diamox gibt, „damit es mir bald besser geht“.
Amchi Chamba und seine Kräuter Doch dann lerne ich jemanden kennen, der viel besser ist als jede Wunderpille. Amchi Chamba – im Kloster Thikse (was so viel wie der „richtige Platz“ bedeutet). Auf einem Hügel in der weitläufigen Fluss-Ebene des Indus erbaut, erhebt sich der imposante weiß-beige Klosterblock, unzählige weiße Chörten säumen den Weg dorthin. Die Anlage wirkt wie eine mit dem Felsen verschmolzene steinerne Großplastik. Der sympathisch lächelnde Chamba ist hier tibetischer Naturheilarzt im Kloster – seit „unzählbaren 35 Jahren“. Der nette Herr mit schütterem grauen Haaransatz und rotem Umhang sitzt in einer kleinen Praxis zwischen Plastikgefässen mit Hunderten von Kräuter-Pillen gefüllt, in aller Ruhe und Gelassenheit. Der heilige Dalai Lama lächelt hinter ihm von einem Plakat an der sonst weiß-kahlen Wand.
Die Heilwirkung der Kräuter Neben den rund 75 Mönchen des Gelbmützenordens (Tsongkhapa) besuchen den drahtigen 70-Jährigen auch die Dorfbewohner Thikses, wenn sie ein Leiden haben – sei es nun eine Erkältung, eine Magen- und Darmstörung oder Gelenkerkrankungen. Die Diagnose, auch bei mir, erfolgt durch das Beschauen der Zunge und Befühlen des Pulses. „Du hast kaum Schlaf und starke Kopfschmerzen“, sagt er mir und lächelt sanft. Recht hat er… Dann sucht er ein paar Kräuter-Pillen zusammen. In der ladakhischen Medizin sind die Kenntnisse um die Heilwirkung von Kräutern hoch entwickelt. „Wir suchen und mischen unsere Kräuter (bis zu 1000 verschiedene!) selbst. Blüten und Früchte sammeln wir im Sommer, Blätter im Spätsommer und Wurzeln, Stängel und Zweige im Herbst“, sagt Chamba. Aber auch Knochen von Tieren kommen in die Medizin. Die Vermischung der einzelnen Ingredienzen zu einem Medikament ist eine hohe Wissenschaft. Einige Pillen enthalten bis zu 75 Bestandteile. „Schon immer habe ich die Leidenschaft in mir gefühlt, andere von ihrem Leiden zu erlösen“, sagt Chamba, während er mir verschiedene Kräuter zeigt. So hat ihn dann eines Tages das Kloster zur medizinischen Fakultät des Dalai Lamas, Dharamsala in Himachal Pradesh, geschickt, um die traditionelle tibetische Medizin zu erlernen. Fünf lange Jahre lang.
Bergblumen in Pillen Meine dunkelbraunen Pillen haben 25 Ingredienzen – und besonders sind ein paar Blüten von Bergblumen, die Chamba hoch oben in den Gipfeln gepflückt hat. Und das Beste: „Sie haben keinerlei Nebenwirkungen, aber du musst fest dran glauben, sonst wirken sie nicht“, erklärt er mir noch. Ob es nun Rudys Wunderpille oder die Kräutermedizin von Amchi Chamba war – am dritten Tag in den ladakhischen Bergen war ich wieder geheilt (das Gleichgewicht der Bioenergien, laut der tibetischen Medizin, wieder hergestellt) – und konnte fast schon wie Rudy die Treppen hochsprinten… Naja, so lala. Außer Puste geriet ich in den Kloster- und Tempelanlagen, ehrlich gesagt, bis zum letzten Tag in dieser wunderschönen, kargen Bergwelt. Aber es ging mir wieder gut. Also nichtsdestotrotz: Ich komme wieder, Amchi Chamba und Rudy!
– Gesundheit: Auf die Symptome der Höhenkrankheit in den ersten Tagen dringend achten (siehe oben), eventuell einen Arzt in Leh aufsuchen. Impfungen gegen Hepatitis und Typhus sind empfehlenswert. Aktuelle Reise-Informationen unter www.crm.de.
– Mein Tipp zur Anreise: Lufthansa fliegt Delhi täglich ab Frankfurt und München an, derzeit mit der Boeing 747-800 (mit Internet an Bord, größeren 15-Zoll-Monitoren, fast zwei Meter langen Liegesitzen in der Business), ab dem 26. Oktober mit dem A 380. In der Economy Class kostet das Ticket ab 519 Euro beim Kauf bis zum 30. September (Reisezeitraum 1.10.14 – 31.3.15). Mehr Infos unter www.lufthansa.com oder Tel. 069/86 79 97 99. Von Delhi geht’s dann weiter mit z.B. Go Air nach Leh in Ladakh. Ein Übernachtungstipp in Delhi: die schick-modernen Oberoi Hotels in Gurgaon und in New Delhi.
– Mein Tipp zu Unterkünften: Eine ganz besondere und sehr individuelle Rundreise in sehr kleinen Gruppen bietet Windrose Finest Travel: Privates Wohnen in der Einsamkeit und Ruhe von Ladakh: Shakti Ladakh. Während der Reise wohnen wir in komfortabel umgebauten Dorf- und Bauernhäusern, entweder weit ab von der nächst größeren Ansiedlung am reißenden Fluss Indus oder mitten in kleinen, gemütlichen Bergdörfern, nahe der Kuhställe. Dorfleben pur! Die Besitzer der Häuser wohnten mit uns Tür an Tür, so dass wir auch schon mal zusammen am Lagerfeuer sitzen, uns mit Händen und Füßen verständigen und Gerstenkörner zusammen anbraten. Ein privater Guide begleitet uns zu einsamen Bergklöstern, Tempeln, Morgengebeten mit Mönchen und Wanderungen entlang des Indus. Die zwölftägige Reise „Shakti Ladakh“ im Land der hohen Pässe kostet pro Person im DZ ab 6890 Euro. Inklusive sind u.a. die Flüge, Transfer, Ausflüge, Reisebegleitung, neun Übernachtungen und Vollpension in Dorfhäusern (Ladakh) und Hotels (Delhi). Mehr Infos unter www.windrose.de oder Tel. 030/20 17 21 0. Oder unter www.shaktihimalaya.com oder bei Shakti Tours, Tel. +91 12 44 56 38 99.
Diese Reise wurde unterstützt von Windrose Finest Travel, Lufthansa, Shakti und The Oberoi. Infos zu Indien: www.incredibleindia.org.
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