Natürlich tut es weh, wenn der Sturm den Regen ins Gesicht peitscht. So etwa stelle ich mir Schmerzen beim Tätowieren vor. Wasser, Wind und fliegende Sandkörner fressen sich in jedes Fitzelchen nackter Haut. Wehe dem, der sich nicht richtig verpackt hat. Fast fliegen wir. Plusternd treiben Böen uns voran, treiben die dicken Jacken wie Segel voran. Keine Menschenseele im Watt in Sankt Peter Ording! Und dann das Gefühl im Hotel: Überstandene Abenteuer, hartes Mädchen. Pures Glück! Winter an der Nordsee!
Schon die Fahrt von Hamburg an die Nordsee geht unter die Haut. Eigentlich bin ich gar nicht so spät losgefahren, aber die Tage sind eben noch kurz und duster. Auch wenn noch nicht die Schwärze der Nacht herangebrochen ist, so wabert doch der Nebel und löscht mit seinen Schwaden das schwindende Sonnenlicht und das letzte Tagesblitzen fällt dem gierigen Regen zum Opfer, der vom Himmel stürzt als gäbe es kein Morgen.
„Zur Linken habe ich jetzt schon seit über einer Stunde die öde, bereits von allem Vieh geleerte Marsch, zur Rechten, und zwar in unbehaglichster Nähe, das Wattenmeer der Nordsee“, dröhnt die sonore Stimme Gert Westphals, der den Schimmelreiter liest. Perfekte Einstimmung auf ein Wochenende an der Nordsee. Hören kann ich die See nicht, das Wummern der Scheibenwischer überdeckt das Toben und Schreien der Wellen. Ein wohliges Gruseln rauscht durch meine Adern, gepaart mit einer großen Liebe für das Land, das die Menschen seit Jahrhunderten dem Meer abgetrotzt haben.
Mein Kleiner kümmert die Novelle um Deichgrafen Hauke Haien, Aberglauben, modernen Deichbau und Intrigen nicht. Zufrieden und vor allem ruhig spielt er in seinem Sitz und lässt mich meiner Sturm-Stimmung fröhnen.
Zum Glück kann ich auf das längst erwartete „wann sind wir endlich da?“, ehrlich antworten: „glich.“ Nur noch ein paar Meter am Deich entlang und die Lichter unseres Hotels Zweite Heimat in Sankt Peter Ording weisen uns den Weg wie ein Leuchtturm. Erleichtert bin ich schon, dass alles glatt gegangen ist. Außerdem haben wir Hunger und ich sehne mich nach einer Sauna. Meiner Sauna. Zwar hat das Hotel ein wunderbares Spa, doch was nützt einem das mit einem Kleinkind?
Eben, also habe ich mir den Luxus eines Zimmers mit eigener Sauna gegönnt. Bei Tag auch mit Meerblick. Bei Nacht zumindest mit Meersrauschen. Zum Glück ist Freddie so geschafft, dass er friedlich und ohne Murren nicht nur ins Bett geht, sondern auch schläft. Zeit für mich, Sauna und den Schimmelreiter. Klar, das Buch ist auch unbedingt lesenwert, aber saunaselig im Bett dösen und im Dämmerlicht Gert Westphal hören ist unschlagbar.
Im Licht der Straßenlaterne erkenne ich den Deich, während ich höre, wie die Dorfgemeinschaft dem alten Brauch folgend, etwas Lebendiges in den Deich eingraben will. Einen kleinen, braunen Hund, den der Deichgraf jedoch rettet und dabei den Zorn auf sich zieht. Im Bademantel stehe ich auf dem Balkon, der Sturm heult, zerrt mit eisiger Hand an meinen Haaren, reißt am Stoff.
Gang um Saunagang geht die Geschichte weiter, nimmt mich gefangen. Ich sehe den Schimmel und den tragischen Reiter in seiner Not. „Vorwärts!, rief er noch einmal, wie er es so oft zum festen Ritt gerufen hatte. Herr Gott, nimm mich; verschon die anderen! Noch ein Sporenstich; ein Schrei des Schimmels, der Sturm und Wellenbrausen überschrie; dann unten aus dem hinabstürzenden Strom ein dumpfer Schall, ein kurzer Kampf. Der Mond sah leuchtend aus der Höhe; aber unten auf dem Deiche war kein Leben mehr als nur die wilden Wasser, die bald den alten Koog fast völlig überflutet hatten.“ Nordsee.
Am nächsten Morgen rast der Wind über die Dünen und das Watt. Endlich kann ich gucken und den phänomenalen Blick genießen. Grau rauscht das Meer am Horizont. Wolken streiten am Himmel, rasen um die Wette, balgen sich zu Bergen, raufen sich in Fetzen. Wolkenschauspiel.
Nach dem Frühstück, für meine Verhältnisse viel zu kurz, drängt zum Strand. Unbedingt will er seinen Drachen steigen lassen. Noch ein paar Monate vorher war der Strand voller Kites und Lenkdrachen. Schnüre und Seile fast ein Labyrinth, kaum ein Durchkommen. Heute haben wir den Strand für uns. Zwischen zwei Regenschauern lassen wir den Drachen fliegen. In wilden Bögen flitzt der bunte Gesell, schwirrt und pfeift durch die Luft. Plötzlich wird es dunkel, vom Meer wälzt sich eine dunkle Wand heran. Schnell fangen wir unseren Drachen ein und laufen ins Hotel. Mit prickelnden Backen, dicken Socken und einer heißen Tasse Tee erzählen wir unsere Abenteuer vom Drachen bezwingen an der Nordsee im Winter.
Unbedingt empfehlenswert: Hotel Zweite Heimat in Sankt Peter Ording
Guten Morgen,
ein sehr schöner Beitrag, vielen Dank fürs Schreiben und Teilen. Ich kann das sehr gut nachvollziehen – war während eines Oktobersturms in SPO (allerdings ohne Sauna…) -> einfach nur gut.
Es ist immer wieder eine Freude, hier zu lesen!
Viele Grüße
Hubert
Danke, lieber Hubert! Auch Segler, wie ich sehe. Nordsee?
Bitte, gerne doch…
Meist bin ich auf der Ostsee unterwegs; Nordsee, Solent, und evtl. etwas weiter weg nur sehr selten.
Wo bist Du segelnderweise aktiv, Elbe, Nordsee, Alster? Ich warte gespannt auf einen entsprechenden Reisebericht 😉
Ohne Kind waren wir mit einem 28 Fuß Schiff auf den Orkney Inseln und rund Schottland – in drei Wochen 😉 Nachzulesen in einem alten Palstek aus 2011. Seit Freddie mit an Bord ist: Ostsee und Nordsee. Vielleicht auch mal Elbe…
an den Bericht erinnere ich mich – Du warst das also 🙂 Werde gleich mal im Keller auf die Suche gehen.
Klasse! Ich war erst vor wenigen Wochen in Sankt-Peter-Ording – mein erster Besuch – und mag es, wenn einen der Wind so richtig durchschüttelt! Wobei es bei meinem Besuch eigentlich nur ein leichtes Ziehen und Schubsen war. Sonnige Grüße, Jutta
Liebe Jutta, wir sind fast weggeflogen 🙂 Nordsee ist immer klasse.Stürmische Grüße Silke
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