Bunte Wimpel und Flaggen von den Bahamas und aus Südafrika baumeln von der Decke. Neben aktuellen Wetterberichten hängen vollgekritzelte Zettel von Skippern, die auf der Suche nach Mitseglern sind. Sie verhüllen die alte Holztäfelung der Wände in einer der legendärsten Hafenkneipen der Welt. Braun gebrannte Burschen mit Bärten und zerrissenen Jeans flirten vor mir an der Theke mit Inselschönheiten. „Peter Café Sport“ mitten im Hafen von Horta auf den Azoren ist eine wahre Institution. Rund 1400 Kilometer trennen die Azoren vom portugiesischen Festland – eine abgeschiedene Welt.
Eine Hafenkneipe – Kontaktbörse und Poststelle auf den Azoren
Jeden Frühling ankern in dem weltberühmten Yachthafen auf der grünen Azoreninsel Faial Tausende Atlantik-Überquerer – auf ihrem Weg in die Karibik oder zurück in die europäische Heimat.
Die Kneipe ist Kontaktbörse, Bar – und Poststelle zugleich.
„Segler und Angehörige schicken uns Briefe von überall auf der Welt. Wir bewahren sie auf, bis sie vom Empfänger abgeholt werden“, erzählt José Henrique Azevedo und öffnet eine Schublade, die überquillt mit Hunderten von Briefen voller Sehnsucht.
Sein Urgroßvater versorgte schon im Jahre 1901 die Segler mit Drinks. 1918 gründete Josés Vater Peter dann die Kultkneipe – aber mehr als das: „Er half ankommenden Booten mit Reparaturen, vermittelte zwischen Kapitänen und dem Hafenmeister.“ Keine gewöhnlichen Aufgaben eines Wirts. Und im ersten Stock des Cafés ist das einzige „Scrimshaw“-Museum der Welt: Seit Jahrzehnten sammelt die Familie Azevedo Walzähne, in die Seeleute filigrane Portraits exotischer Schönheiten graviert haben.
Autobahn der Wale – ein Paradies für Walbeobachter und Biologen
Bis Ende der 1980er wurden auf den neun Vulkaninseln im Nordatlantik noch Hunderte von Walen getötet. Heute wird dies streng überwacht, an die Stelle der Walfänger sind Walbeobachter und Biologen getreten. „Von April bis September können wir bis zu 24 verschiedene Wal- und Delfinarten zählen“, weiss Biologin Carla Coutinho. Die junge Portugiesin erzählt enthusiastisch von Walhaien und riesigen Schwärmen von atlantischen Fleckendelfinen, nach denen sie aus den Vigias (alte Beobachtungstürme) mit dem Fernglas Ausschau hält. „Es ist wie auf einer Autobahn, wenn die großen Wale im Sommer für eine kurze Kaffeepause bei uns Halt machen“, sagt sie und lächelt. „Und ihre Babys bekommen sie dann im Norden der Inseln.“
Mit Touristen fährt sie von Ponta Delgada, der Hauptstadt der Azoren, raus aufs offene Meer – zum Schwimmen mit Delfinen.
Ihre Augen leuchten: „Du wirst besessen von den neugierigen Tieren, wenn sie unter Wasser direkt unter dir anhalten und dich anschauen.“ Doch die friedlichen Meeressäuger zu berühren, ist verboten, betont die engagierte Carla. Die Delfine sollen selbst entscheiden, ob sie in Interaktion mit Menschen treten wollen. „Wenn sie dich nicht mehr sehen wollen, tauchen sie ab in die Tiefe.“
Ruhe vom stressigen Lissabon
Seit 15 Jahren lebt sie bereits auf den Azoren, über 1600 Kilometer von ihrer Heimat – „dem stressigen Lissabon“ – entfernt. Doch missen tut die 38-Jährige nichts auf dem abgeschiedenen Archipel mit den glänzend blauen Kraterseen und knallgrünen Wiesen, die von pastellblauen Hortensienbüschen begrenzt werden. „Ich fühle mich hier nicht eingeengt. Alle Inseln haben Internet-Empfang – und viel besser noch: ihre ganz eigene Magie. Das zählt viel mehr als ein modernes Leben.“ Nur der Konservatismus der Azorianer sei gewöhnungsbedürftig: „Ein Paar darf hier erst nach der Hochzeit zusammen leben.“
Doch der strenge Glaube der Insulaner macht auch den eigentlichen Charme der Azoren aus: Auf dem Eiland Terceira wird im Sommer oft und kräftig gefeiert. Im Mittelpunkt der „Festas do Espirito Santo“ stehen kleine, an Kapellen erinnernde Tempel – die Impérios. Auf Terceira gibt es 70 dieser bunt bemalten Heiliggeisttempel mit ihren Blumen- und süssem Brot geschmückten Altaren.
Eine Spende für den Heiligen Geist
In dem winzigen Dorf Terra Chã hängen neben dem Gottestisch Fotos von stolzen Bauern mit prämierten Kühen. Gemeindemitglied Artur Brasil erklärt die alte Tradition der heiligen Kuh. Sie wird schon bei der Geburt für das Heiliggeistfest auserwählt: „Der Legende nach hat dieses Tier ein Erdbeben überlebt. Es wird geschmückt, gereinigt – und zum Höhepunkt der Feier geschlachtet.“ Hinter Artur betritt Maria Juam, ganz in schwarz gekleidet, den Império. In der Hand trägt sie eine Figur aus Baiser mit Zuckerguss. „Das ist eine Spende für den Heiligen Geist“, sagt die Witwe in perfektem Englisch.
Sie ist eine von vielen Immigranten, die nach Kanada auswandern und mit ihrer Rente zurück in die geliebte Heimat kommen. 247 000 Menschen leben auf den Azoren, aber knapp eine Million im Ausland. „Nach der Messe gibt es bei uns eine Armenspeisung, bei der das ganze Dorf zusammen feiert und die Heiliggeistsuppe mit Maisbrot isst“, sagt Maria. Da kann es Gästen schon einmal passieren, dass Einheimische sie spontan in ihr Haus zum Essen einladen. Gastfreundschaft ganz im azorianischen Sinne.
Die Reise wurde unterstützt vom Portugiesischen Fremdenverkehrsamt und TUI.
– Wo Gäste gut übernachten auf den Azoren:
„Quinta do Martelo“, Terceira, Orangenfarm mit traditionellen Bauernhäusern, landestypische Gastronomie.
„Quinta das Merces“, Terceira, Landhaus.
– Wo sich Gäste die Heiliggeistfeste auf den Azoren anschauen können:
„Festas do Espirito Santo“: Einige Feierlichkeiten sind noch im August, am besten schaut ihr direkt auf dieser Kulturseite nach!
– Whale Watching:
Regelmäßige Bootsfahrten zu den Walen finden von April bis Oktober statt. In der Hauptsaison solltet ihr frühzeitig reservieren. Ein guter Tipp ist der Veranstalter Picos de Aventura
Und wer noch etwas zu Portugal bei uns lesen möchte, hier ist eine Geschichte zur Algarve.