In Niedersachsen der Nähe von Bremen befindet sich ein ungewöhnliches Projekt: Seit April 2010 halten Christina und Frank Faß im Wolfcenter Dörverden Europäische Grauwölfe und Hudson-Bay-Wölfe. Ihr Ziel: neutrale Öffentlichkeitsarbeit über Wölfe.
Gerettet von (nicht vor!) einem Wolfsrudel: Als Kind gehörte der Roman „Julie von den Wölfen“ von Jean Craighead George zu meinen Lieblingsbüchern. Wie es dem in der Tundra verirrten Inuit-Mädchen Julie gelingt, das Vertrauen des Rudels zu erlangen, hat mich sehr fasziniert.
Zurück im früheren Lebensraum
Inzwischen kehren die Wölfe aus Osteuropa nach Deutschland zurück und breiten sich als Kulturfolger immer weiter gen Westen aus. Schon seit den frühen 2000er-Jahren erobern sie in Deutschland den Lebensraum zurück, aus dem der Mensch sie einst vertrieben hat. Dabei kommen sie erstaunlich gut mit der besiedelten Kulturlandschaft und der Siedlungsdichte zurecht. Wölfe ernähren sich vor allem von Huftieren wie Rehen, Dam- und Schwarzwild, fressen aber auch Vögel, Hasen und Mäuse, Aas und Beeren. Und auch Schafe und die Jungtiere von Pferden und Rindern gehören zur Beute von Wölfen.
Wolf und Mensch
Beim Thema „Rückkehr der Wölfe in die Kulturlandschaft“ scheiden sich deshalb die Geister. Die Fronten der Lager sind verhärtet, kaum ein Naturschutz-Thema ist in Deutschland so emotional besetzt: Bilder von blutigen, gerissenen Schafen prangen auf den Titelseiten der Boulevardpresse, Jäger fürchten die natürliche Konkurrenz, in der Nähe von Siedlungen herumlaufende Tiere befeuern menschliche Urängste vorm „bösen Wolf“. Andererseits beschönigen romantisierende Wolfbefürworter das Zusammenleben von Wildtier und Mensch.
Diskussion versachlichen
Mit dem Wolfcenter wollen Christina und Frank Faß Sachlichkeit in die Diskussion bringen, wollen zeigen, was die Tiere ausmacht und wie sie leben. Als Kombination aus Zoo, Museum und Tagungs- und Lernort verbindet ihr Center Freizeiterlebnis mit Bildung und Diskurs. „Wir denken, dass nur, wenn wir alle Aspekte miteinander diskutieren, auch ein permanentes Miteinander zwischen Wolf und Mensch möglich bleibt“, sagt Frank Faß. „Wir wissen, dass es für ein dauerhaftes Leben von Wölfen in Deutschland noch Probleme zu lösen gilt. Diese Lösungen sind nicht immer und überall von heute auf morgen realisierbar. Die Motivation unserer Arbeit liegt in unserer Überzeugung begründet, dass es möglich ist, wieder dauerhaft mit freilebenden Wölfen in Deutschland konfliktarm zusammenzuleben – als ein fester Bestandteil der Natur. Es muss aber genauso hinterfragt werden dürfen, ob es Regionen in Deutschland geben soll, in denen der Wolf vielleicht doch nicht toleriert werden kann, weil ein effektiver Herdenschutz nicht möglich ist oder weil der Tourismus leiden könnte.“
Europäische Grauwölfe, Hudson-Bay-Wölfe und Waldschafe
Es gibt im Wolfcenter ein Gehege mit sechs Europäischen Grauwölfen aus Handaufzucht. Die fünf Rüden und eine Fähe sind Geschwister aus einem 2010er Wurf. In einem zweiten Gehege leben zwei nicht mit der Hand aufgezogene und damit deutlich scheuere Grauwölfe, die im Jahr 2011 geboren worden sind. Nebenan gibt es ein weiteres Gehege mit zwei handaufgezogenen, weißen Hudson-Bay-Wölfen. Außerdem lebt eine kleine Herde von Waldschafen im Wolfcenter, gut behütet vom weißen Herdenschutzhund Cleo. Im Streichelzoo lassen sich Ziegen anfassen. Auf den Wegen zwischen den Gehegen bekommt man die Tiere hinter dem hohen Metallzäunen in der Regel immer wieder und auch mal ziemlich nah zu Gesicht.
Hölzerne Aussichtsplattformen bieten eine noch bessere Sicht ins Gelände. Von hier aus werden die Wölfe zu festen Zeiten auch gefüttert. Wer noch näher an die Tiere herankommen möchte, kann verschiedene Pakete buchen: Man kann die Wölfe zum Beispiel selbst füttern, eine halbe Stunde mit einem Pfleger im Wolfsgehege sein oder auch einen Abend bei den Wölfen verbringen.
Beliebt sind auch die mietbaren Fotoklappen: Dazu bekommt man eine Warnweste an und den Schlüssel zu den Luken im Zaun ausgehändigt, um diese öffnen zu können. Man darf dann über die erste niedrige Drahtabsperrung zum Metallzaun klettern und kann durch die geöffneten Klappen ohne störende Metallstreben vor der Linse fotografieren.
Und was machen die Wölfe so? Die meiste Zeit dösen sie in Erdkuhlen, eingerollt und die Nase tief ins Fell vergraben. Ab und zu spitzt einer die Ohren, steht auf, läuft herum. Später werden sie aktiv, drehen große Runden durchs Gehege. Sie scheinen zu wissen, wann Futterzeit ist. Insgesamt wirken die Wölfe zufrieden, aber ein wenig gelangweilt – was nicht wundert, schließlich haben sie hier Vollversorgung und müssen sich um ihr Fressen nicht selbst kümmern. So scheinen sie die meiste Zeit zu schlafen. Doch in der Dämmerung werden sie plötzlich richtig aktiv, laufen herum, sammeln sich, und dann beginnt der erste zu heulen. Die anderen fallen ein, mehrstimmig hallen ihre unterschiedlich hohen Stimmen durch den Wald. Aus dem anderen Gehege kommt umgehend Antwort – wie gern würde man wissen, was da gerade kommuniziert wird. Und das klingt dann so:
Öffnungszeiten Wolfcenter Dörverden: Mi-So 10-18 Uhr, in den Ferien jeden Tag geöffnet
Tageskarte: Erwachsene 12,90 €, Kinder 9,90 €, Familie 39,90 € (incl. Ausstellung, Führung, Fütterung)
Info: https://www.wolfcenter.de/
Wer mag, kann sogar die ganze Nacht im Wolfcenter verbringen, wahlweise im Tipi, im Doppelzimmer oder im luxuriösen Baumhaushotel Tree Inn.
Wunderschöne Naturfotos u.a. vom Wolf und seinem Lebensraum macht Jürgen Borris.
Lust auf mehr Natur? Iris berichtet hier von der Falknerei auf der Burgenstraße.