Braungebrannt, grau melierte Schläfen, eine stattliche, wohlgenährte Figur im weißen Baumwollhemd und den weltberühmten Panama-Strohhut in der Hand: Señor Adolfo Lübcke Flores sieht genauso aus, wie ich mir einen Kolonialherrn vorstelle. Mit lautem, ansteckendem Lachen begrüßt er die Gäste im Schaukelstuhl auf der Veranda mit den riesigen pastellfarbenen Rundbögen und orientalischen Deckenlampen: „Mein Vater war auch Deutscher und emigrierte vor dem Ersten Weltkrieg nach Mexiko.“ Ich bin auf der wunderschön grünen, mexikanischen Halbinsel Yucatán.
Und schon sind wir mitten drin in seiner Familienhistorie – und der Geschichte der Sisalbauern aus einem vergangenen Jahrhundert, der Zeit des „grünen Goldes“ im Norden von Yucatán, zwischen dem Golf von Mexiko und dem Karibischen Meer.
Der Kastenkrieg und die Sisalproduktion
Adolfo ist Generaldirektor der 155 Hektar großen Hacienda „Sotuta De Peón“ – 35 Kilometer von Mérida entfernt, einer der ältesten Kolonialstädte des Landes mit prachtvollen Palästen, Kirchen, Alleen und grünen Plätzen. In der Umgebung liegen über 300 riesige Haciendas, auf denen Bauern einst Zuckerrohr und Agaven anbauten.
Henequén, eine Agavenart, aus deren Fasern Sisal für Seile und Garne gefertigt wird, verhalf der Region Anfang des 20. Jahrhunderts zu internationalem Ansehen. „Bevor die Kultivierung mit Henequén begann, hungerten die Menschen. Der Kastenkrieg tobte. Jeder, der konnte, rannte davon“, erzählt der 78-Jährige. Adolfo nennt es einen Segen, dass die Sisalproduktion begann – doch für viele Peónes (Bauern) fing damit auch eine harte Zeit an: Sie schufteten 15 Stunden am Tag in der Hitze Mexikos, um ihren kläglichen Lebensunterhalt zu verdienen. „Mit dem Aufkommen von Kunstfasern ging die Epoche zu Ende“, erläutert mir der Gutsbesitzer weiter. Nur wenige Haciendas in Yucatán produzieren, wie er, heute noch das Naturprodukt Sisal.
Ein Museum, das noch immer Sisal exportiert
„Sotuta De Peón“ ist zwar ein Museum mit französischen Antiquitäten, englischem Porzellan und historischen Maschinen, dennoch wird hier noch zweimal jährlich geerntet und Sisal nach Brasilien exportiert. Besucher können dabei zuschauen, wie Don Juan, mit 81 Jahren (und neun Kindern) der älteste Mitarbeiter Adolfos, aus den Fasern Sisalstreifen herstellt.
Andere Herrenhäuser hingegen wurden mitten im tropischen Dschungel zu prunkvollen Hotels im Kolonialstil aufwändig umgebaut – etwa die „Hacienda Uxmal“, eines der ältesten Hacienda-Hotels der Welt. Sie liegt in der Nähe der majestätischen Maya-Stätte Uxmal, die „Dreimal Gebaute“, inmitten der Hügel der Puuc-Route.
Der mystische Zauber der Ruinen
Wer die Stadt, in der einst fast 25 000 der mexikanischen Ureinwohner Mayas lebten, am frühen Morgen besucht, wird umfangen vom mystischen Zauber der Ruinen: In der Morgendämmerung noch in geheimnisvolles, milchiges Licht getaucht, geht plötzlich die Sonne auf und beleuchtet steinernde Dekorationen wie die des Gouverneurs-Palasts und der 37 Meter hohen, ovalen Pyramide des Wahrsagers – ein Unesco-Weltkulturerbe.
Säulen und Friese, die aus Hunderten von Göttermasken und geometrischen Motiven gebildet sind, schmücken die Fassaden. Ihr solltet euch viel Zeit lassen, um die Gebäude mit ihren vielen Details zu besichtigen, die alle während der klassischen Maya-Epoche (500 bis 900 n. Chr.) entstanden sind. Die Yucatáner sind stolz auf die prächtigen Hinterlassenschaften ihrer präkolumbischen Vorfahren.
Indigenas: 30 Prozent der Bewohner Yucatáns
Auf der Halbinsel stellen Indigenas – die indianischen Ureinwohner – 30 Prozent der Bewohner, im Schnitt sind es sonst nur 15 Prozent in Mexiko. In der Nähe Uxmals besuche ich Juan Diego. Er lebt mit seiner Familie in winzigen Palapa-Hütten mit Palmendächern, im Inneren schläft sein Bruder in einer Hängematte – der in Yucatán so beliebten Hamaca. „Ich arbeite jeden Tag zwölf Stunden auf dem Feld“, erzählt mir der Maisbauer ohne sich zu beklagen und präsentiert stolz seine fünf Kinder. Sein 95-jähriger Vater kniet draußen gerade vor einem Altar und betet inbrünstig für eine gute Ernte.
Die weiße Stadt
Ein krasser Gegensatz zu den prächtig restaurierten Haciendas und in Hotels umgewandelten Palästen in Großstädten wie dem 80 Kilometer entfernten Mérida. Mit dem Handel von Sisal wuchs die „weiße Stadt“ Ende des 19. Jahrhunderts zu einer der reichsten Metropolen der Welt – auch Señor Adolfo hat hier sein prunkvolles Familienanwesen.
Una nocha mexicana
In den Abendstunden, wenn die Hitze nachlässt, erwacht die romantische Kolonialstadt zum Leben: una noche mexicana. In kleinen Garküchen bieten Verkäufer süße Churros, Enchiladas oder knallbunte, indianische Webarbeiten an. Lecker! Artisten und Tänzer geben in den Parks ihr Können zum Besten. An jeder Ecke wird getanzt, gelacht, getratscht und gesungen. Fröhlichkeit und Herzlichkeit, wo ich nur hinschaue.
Seit über 20 Jahren heißt es hier jeden Sonntag ab neun Uhr morgens „Viva la fiesta“ auf der Plaza Mayor in der Innenstadt: Unter den Arkaden des Palacio Municipal spielen die besten Bands des Landes stundenlang Salsa, Merengue und Mambo, die Musik Mexikos und der Karibik – voller Gefühl und Leidenschaft. Einfach schön! Direkt davor, mitten auf der Straße, schwingen Jung und Alt die Hüften eng aneinander gepresst bis tief in die Nacht.
Unterstützt wurde die Pressereise nach Yucatán durch das mexikanische Fremdenverkehrsamt und Tui.
Wer noch mehr zu Mexiko lesen möchte, hier noch eine Story zu Yucatán.
Glückwunsch, das gefiel mir sehr…
Lieben Gruß, Ewald
vielen Dank, Ewald! Das ist nett! Lg Sandra
Hallo Sandra, ich war gerade dort, hab auch noch Cenotes besucht und in Uxmal die Lightshow am Abend genossen. Eine Traumregion- leider hatte ich keine Gelegenheit die von Dir beschriebene Hazienda aufzusuchen, auch keine Adresse. Auch die Oper hätte ich gern von innen gesehen in Merida – Sehr schöner Artikel– lieben Gruss Livia