Die Ernte war längst in der Scheune, die Bauarbeiten beendet. Es wurde langsam kälter und kälter, die langen dunklen Winterabende begannen. Die Maurermeister, Tagelöhner und Holzarbeiter suchten eine Beschäftigung. Da nahmen sich meist gläubige Wattenweiler ein scharfes Messer und ein Stück trockenes Lindenholz zur Hand. Sie tauchten ein in Jesu Christus‘ Welt und schnitzten, fassten und kreierten Szenen aus der Weihnachtsgeschichte. Mit den Jahrhunderten entstanden wunderschöne Krippenlandschaften von hoher Handwerkskunst, die in dieser Dichte für ein 600-Seelen-Dorf wie Wattenweiler in Bayerisch-Schwaben einmalig ist. Ich habe die Ausstellung „Wattenweiler Krippenparadies“ im Landkreis Günzburg vor ein paar Tagen besucht und war hin und weg von den über 70 liebevoll geschnitzten Hauskrippen mit ihren oft noch nicht mal handgroßen Figuren.
Eine große Krippenstube
Die alte Schnitztradition ist natürlich ein Stück Dorfgeschichte, aber noch viel mehr: Die begabten Bewohner machen den „christlichen Glauben erlebbar“, sie interpretieren das Lukas-Evangelium auf ihre Weise, so Helmut Hartmann, Mitorganisator der Ausstellung. 150 Jahre Krippengeschichte auf einen Schlag. Vom Barock bis in die Moderne. Sie ist übrigens noch bis zum 15. Dezember täglich von 10-22 Uhr geöffnet – im Bürgerheim mitten im Dorf des Günztales. Nach Weihnachten bis zum 6. Januar 2020 können Gäste an die Häuser und Höfe in den Dörfern um Wattenweiler herum klopfen oder eine Führung buchen (siehe weiter unten) und die wunderschönen Hauskrippen in den Privaträumen besichtigen. „Grüß Gott, können wir ins Kripple kommen?“ heißt es dann – und die Krippler freuen sich über das rege Interesse.
Erste Krippe von den Großeltern
Helmut weiß selbst, wie emotional behaftet die Schnitzerei ist: „Das ist keine Arbeit, selbst wenn du nächtelang an den Figuren sitzt.“ Er spricht von wahrer Leidenschaft und seine Augen werden wässrig. „Auch das Aufbauen der Krippe ist ‚was fürs Herz. Wenn du fertig bist, laufen dir oft die Tränen runter“, erklärt mir der Handelsvertreter. Seine erste Krippe bekam der 60-jährige Dorfbewohner von seinen Großeltern – selbst begeisterte Schnitzer – geschenkt. Seine selbst erbaute steht ebenfalls mit in den Ausstellungsräumen in Wattenweiler.
Jetzt zeigt er mir stolz seine Figuren: „Sehen Sie, es sind auch Handelsleute – so wie ich einer bin“. Die Kunst sei, dass sie von alleine stehen, keine extra „Füße“ sie tragen.
Was bedeuten für ihn die Krippenfiguren? „Was bleibt schon von uns, wenn wir eines Tages gehen?“ fragt er mich. „Erinnerungen – oder hier in Bayerisch-Schwaben halt die geschnitzten Figuren. Der engagierte Einheimische zeigt auf eher orientalisch geprägte, handgroße Könige, auf Fußvolk, Lastenelefanten, Kamele und Gefolgschaften: „Übrigens wer keinen Königszug in seiner Krippe hat, der hat nicht wirklich eine. Der gehört unbedingt dazu.“
Jüngster Schnitzer ist sieben
Die älteste Krippe stammt von 1820 aus dem Biedermeier in Oberammergau und die jüngste aus 2018. Sie reichen von Papierdarstellungen über geschnitzte rohe und gefasste Figuren, von „Bachenen“ (aus Ton) bis hin zu den „Eigschläfte“, den Angezogenen. Der jüngste Schnitzer, Tobias, ist gerade mal sieben Jahre jung, der Älteste 82 Jahre. Teilweise stehen in einer Krippe bis zu 100 Figuren, in anderen kleine Gruppen, die sich nur um das Wichtigste kümmern: die Geburt Jesu.
Mit viel Glauben und Liebe zum Leben erwachen
Dann besuche ich noch eine bekannte Krippenmalerin im Dorf. Bei den kleinen Figuren heißt es eher „Fassen“ als Malen – und das sei schon eine wahre Kunst, erklärt mir Hilde Malcher. Ihr Mann, Otto Malcher, leider schon verstorben, war ein Krippler mit großer Leidenschaft. Aber auch für seine Gattin ist „ein tiefer Glauben und viel Liebe“ mit dabei. Sie erzählt mir, wie sie die Figuren erst grundiert, mit Ocker unterlegt. Haare, Kleidung, Backen, Mund. „Schließlich sollen sie ja einen alten Touch bekommen.“ Nach dem Trocknen über Nacht wird erneut gepinselt mit verschiedenen Ölfarben, die Falten vom Schnitzen sollen rauskommen. Mit weiß leicht rüber und dann wieder trocknen. Eine längere Prozedur. Beigebracht hat Hilde sich das Fassen eigentlich selbst bei einem Kurs in Günzburg. Jetzt in der Rente sei es einfach auch eine schöne Beschäftigung, „den ganzen Tag nur Putzen ist ja nichts“.
Krippenausstellungen in Bayerisch-Schwaben:
– Krippenschau in der imposanten Stadionkapelle in Thannhausen (Bahnhofstraße 19, Sonn- und Feiertag 14-17 Uhr, bis 19. Januar 2020). Christoph von Schmid hat in Thannhausen „Ihr Kinderlein kommet“ geschrieben.
– im Mittelschwäbischen Heimatmuseum in Krumbach (26. Dezember 2019 bis 2. Februar 2020). Krumbach an sich ist ebenso ein Besuch wert.
– im Kloster Wettenhausen (Dossenberger Straße 46, tgl. 13.30-17 Uhr, 26. Dezember 2019 bis 2.Februar 2020). Das gesamte Ensemble ist beeindruckend.
– im Heilbad Krumbad (Bischof-Sproll-Straße 1, 27. Dezember 2019 bis 26. Januar 2020), dem ältesten Heilbad Schwabens. Hier könnt ihr das Kulturelle schön mit Wellness/Spaziergang oder einfach gemütlichem Kaffee trinken kombinieren!
– die barocke Kirchenkrippe in der Katholischen Pfarrkirche St. Johannes Baptist und St. Johannes Evangelist in Edelstetten. Geöffnet bis zum 1. Februar 2020, tgl. von 9-16 Uhr.
Führungen:
– Führungen zu Privatkrippen in den heimischen vier Wänden im ganzen Landkreis Günzburg bietet unter anderem die Familie Gollmitzer (Reisensburg, Tel. 08221-85 50) an. Ein schönes, sehr persönliches Erlebnis! Führungen im „Wattenweiler Krippenparadies“ im Bürgerheim im gleichbenannten Günztaldorf macht Helmut Hartmann (Tel. 08283-92 88 71). Allgemeine Infos zum Thema hier.
Unterstützt wurde ich bei der Recherchereise von Landkreis Günzburg und Tourismusverband Allgäu/Bayerisch-Schwaben. Wer noch ein Adventsthema bei uns lesen möchte, hier ein paar gute Tipps zu ungewöhnlichen Weihnachtsmärkten.
Ein sehr schöner und interessanter Beitrag, den ich sehr gerne gelesen habe. Vielen Dank für diesen tollen Post.
Lieber Werner, vielen lieben Dank! Hat mir auch viel Freude bereitet, die Geschichte zu recherchieren. Herzensgute, engagierte Menschen im Günztal! LG Sandra