Die freskenreiche Stadt an der „Schwelle der Berge“, Spilimbergo. Im Herzen des Friaul gelegen, auf halbem Wege zwischen den im Sommer oft proppenvollen Adria-Stränden und den einsamen Bergen der Karnischen Alpen. Ganz in der Nähe des Flusses Tagliamento thront die Kleinstadt auf einem Plateau. An einem Vormittag im Frühsommer schlendere ich durch menschenleere Arkaden, verträumte Paläste, kleine Gassen und romantische Plätze. Echt schön dieses Spilimbergo, diese in der ganzen Welt als Stadt der Mosaike bekannt. Hergekommen bin ich mit dem E-Bike von Latisana aus, gute 55 Kilometer mit dem charmanten Guide Fabio. Der Einheimische kennt die Radwege am Tagliamento wie seine Westentasche. Die kostenlosen Radausflüge in die Region bietet Lignano Sabbiadoro an, die fünfstündige Tour Lignano-Spilimbergo (Mai bis September) gibt es erst seit dem Frühsommer.
Weltweit einzige Mosaikschule
In Spilimbergo wurde exakt vor 100 Jahren die Scuola Mosaicisti del Friuli gegründet. Mit dem Ziel, jungen Leuten, die damals auf der Suche nach Jobs im Ausland aus dem Friaul abwanderten, eine technische Vorbereitung mitzugeben. Heutzutage ist die Mosaikschule des Friaul nun die einzige Schule weltweit, die Mosaikmeister hervorbringt. „Derzeit haben wir 60 Schüler von überall her. 13 Nationalitäten – darunter Deutsche, Australier, Österreicher, Chinesen“, erläutert Direktor Gian Piero Brovedani mit stolzer Brust. Die meist 20-30-Jährigen müssen ein Abitur-Diplom und gute Noten vorweisen, ebenso natürlich Italienisch beherrschen. Brovedani erklärt mir, dass seine Schule „schon sehr selektiv“ vorgehe bei der Auswahl der Studierenden, derzeit überwiegend Frauen.
Das reine Zeichnen und im Gegensatz dazu die Computergrafik
Die dreijährige Ausbildung zum Mosaikleger umfasst die Vermittlung unterschiedlicher Disziplinen, die alle wichtig sind für das Erlernen der steinernen Kunst. So gibt es aber auch Lehrstunden zur Farbtheorie, zur reinen Zeichnungslehre, Computergrafik, Geschichte der Mosaike, Technologie und geometrisches Design. Grundlagen für das Schaffen, Forschen und Experimentieren sind da ebenso von Bedeutung wie Besonderheiten der römischen oder zeitgenössischen Mosaiktechniken. Die Schule verbindet die Kraft der alten Tradition mit den innovativsten Trends der modernen Kunst. „Unsere Absolventen können später in Ateliers arbeiten oder eigene Geschäfte eröffnen“, so Brovedani. Allein in Spilimbergo gäbe es rund 60 Ateliers. Die Steine, der Marmor oder die Kiesel stammen oft noch aus den umliegenden Flüssen der Region. Auch wenn dies eigentlich verboten sei mittlerweile.
Mosaikmeister gingen nach Venedig
Der Beruf des Mosaikmeisters stammt aus dem 15. Jahrhundert. „Die Venezianer – Venedig (rund eine Stunde entfernt von Spilimbergo) ist die Wiege der byzantinischen Mosaik-Tradition – holten die Kunsthandwerker damals in die Stadt der Gondeln für die Fußböden der Villen“, erzählt mir der Schuldirektor weiter. Aber auch Aquileia, eine wichtige römische und frühchristliche Stätte dieser hohe Handwerkskunst, liege in der Nähe.
Mosaik-Monument im Ground Zero von Künstlern der Schule
In der Vergangenheit wurden bereits einige Arbeiten für hochkarätige Auftraggeber angefertigt: So entstanden beispielsweise die Mosaike, die das Foto Italico in Rom schmücken, die Grabeskirche in Jerusalem und sogar das beeindruckende Monument im New Yorker Ground Zero. Die Saetta iridescente, die an die vielen Tausend Toten des Terroranschlags vom 11. September 2001 auf das World Trade Center erinnert. So schaue ich mir in der Scuola Mosaicisti del Friuli dann auch eine bemerkenswerte Galerie von Schülern und Lehrern angefertigten Werken an: Sie durchlaufen die 5000 Jahre alte Geschichte des Mosaiks, von griechischen und römischen Bodenbelägen bis hin zu heutigen modernen Mosaiken – wie dem von Robert Kennedy.
Während des Schuljahres können Kunstinteressierte übrigens die Werkstätten und Unterrichtsräume der Schule an der Via Corridoni Nr. 6 kennen lernen und beobachten, wie ein Kunstwerk entsteht. Oder an einem der Sommer- oder Herbstkurse teilnehmen und die Kunst des Mosaik legen selbst einmal versuchen. Viel Erfolg!
Restaurant-Tipp für tolle Hausmannskost in Spilimbergo
Wer Lust hat, nach oder vor einem Besuch der Scuola Mosaicisti die eindrucksvolle Küche der Region Friaul zu probieren, sollte dies, in der Antica Osteria „Al Bachero“ in der Via Pilacorte Nr. 5 tun. Schön rustikal mit alten Holztischen, Schwarz-Weiß-Aufnahmen der Stadt, Kaminen und Öfen eingerichtet. Stefano und sein Bruder Michele Zavagno kochen hier schon seit Ewigkeiten regionale Spezialitäten wie Baccalà mantecato (Stockfisch) oder Trippe con Polenta (Kutteln). Ihre Familie führt das Lokal schon seit über 50 Jahren. „Doch gegründet wurde es bereits Ende des 19. Jahrhunderts von Ölproduzenten aus Apulien“, erzählt Stefano und zeigt mir stolz die Küche des Hauses.
Und sehr sehr lecker: die hausgemachten Gnocchi al ragù und der typische Salzkäse aus dem Friaul „Val D’Arzino“, unbedingt essen! Köstlich und so gar nicht vergleichbar mit der italienischen Küche hierzulande.
Und wer noch mehr Lust auf Kulinarisches hat: Rund um den Thunfisch dreht es sich beim Lignano Tuna Festival. An insgesamt sechs Tagen, verteilt auf zwei Wochenenden (23.-25. September und 30.September-2.Oktober 2022), stehen Wettbewerbe im Fischen von Rotem Thunfisch, Essen und Wein, Spiel und Infos rund um die ökologische Nachhaltigkeit des Meeres auf dem Programm. Viel Spaß!
Wer mehr von uns zu Italien lesen möchte, hier eine Story zu Caorle: Der alte Mann und das Meer oder zum Nachtzug nach Italien.