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Ein Unikat aus Caorle: Der alte Mann und das Meer

Wer sich ein Fahrrad schnappt und wegbewegt vom „Teutonengrill“, dem breiten Strand voller Sonnenschirme an der oberen Adria, der kann eintauchen in eine ganz andere Welt. Die alte Welt der Fischerdörfer. Im „kleinen Venedig“ Caorle haben wir einen Fischer getroffen, der wirkt wie direkt aus einem Roman entstiegen.
Mücken tanzen in Schwärmen über dem Wasser, ein Fischreiher lauert auf Beute und im Wasser ziehen Schwäne ihre Kreise. Am Rande der Lagune von Caorle stehen malerische Hütten, deren Dächer mit Schilf bedeckt sind. Ernest Hemingway war oft hier draußen und hat sich von der Idylle zu vielen Szenen in „Über den Fluss und in die Wälder“ inspirieren lassen.

Wer diese Fischerhütten namens „Casoni“ zum ersten Mal sieht, wähnt sich in dieser Sumpflandschaft weniger in Europa, sondern irgendwo in einem Reisanbaugebiet in Südostasien. (Reis für italienisches Risotto wird in dieser sumpfigen Region nördlich von Venedig übrigens tatsächlich angebaut)

An einer Casone parken wir unsere Fahrräder und machen uns auf die Suche nach einem besonderen Mann: Luigino Marchesan fischt schon seit 70 Jahren in der Lagune von Caorle. Auch heute Nacht war er wieder unterwegs und lädt gerade sein Boot aus.

An seinen Füßen trägt er die obligatorischen Gummistiefel, während er Flundern und Meeräschen aus seinen Netzen zupft. Dann kommt er auf den Steg und reicht uns die Hand. Eine Fischerhand mit Schwielen, der man die jahrzehntelange harte Arbeit ansieht, sein Gesicht wettergegerbt. Ein glückstrahlender Mann, absolut in seinem Element, als er uns mitnimmt in sein Häuschen. Das Schilf des Daches im Innenraum ist vom Rauch des Feuers ganz schwarz und es riecht nach altem Rauch.

Aber es angenehm kühl hier drin nach der schwülen Hitze draußen. Luigino sagt, dass der Geruch auch die Mücke vertreibe. Er bietet uns einen Platz an, holt eine Flasche des hiesigen Proseccos heraus und kommt ins Erzählen: Schon mit 8 Jahren fuhr der heute 79-Jährige zum ersten Mal raus mit seinem Vater. Mit 21 besaß er schon sein erstes Boot, war sein eigener Chef – und sehr erfolgreich.

„Damals dachte ich noch, ich sei der Größte. Zum Glück hat mich mein Vater immer wieder auf den Boden zurückgeholt.“ Später finanzierte er mit seiner Fischerei sogar das Studium des Bruders, heute Amtsveterinär von Caorle.

Ihren Fisch tauschten die Bewohner der Casoni damals gegen landwirtschaftliche Produkte bei den Bauern ein: Eier, Kartoffeln, Wein. „Heute leben hier in der Lagune nur noch die alten Leute, die Kinder wollen mehr Komfort.“

Wenn früher ein Unwetter aufkam, als er und seine Fischerkollegen auf See waren, standen oft die Ehefrauen auf dem Deich und hielten sorgenvoll Ausschau. Das wollte Luigino nicht und richtete harte Worte an seine Frau: „Wenn ich da draußen auf dem Boot bin, dann denke ich weder an Dich noch an die Kinder. Ich denke nur daran, wie ich wieder heil in den Hafen komme.“

 

„Damals hast Du ‚ja‘ gesagt, als Du einen Fischer wie mich geheiratet hast, jetzt musst du wieder ‚ja‘ sagen und mir versprechen, dass du dich nie wieder auf den Deich stellst und dir Sorgen machst.“ Und so sei es dann auch gekommen.

 

 

Heute üben nur noch etwa 120 Fischer in Caorle diesen Beruf aus. Nur eines hat sich nicht geändert: Sie fischen nachts und kommen am frühen Nachmittag wieder in den Hafen.

Dort verkaufen sie ihren Fisch in der Markthalle der Stadt an Gastronomen und andere Interessierte – per Auktion, aber nicht so, wie wir das vielleicht kennen.

Die alltäglich stattfindende „Flüsterauktion“ ist wie die Casoni eine Besonderheit von Caorle: Die Interessenten schauen sich die angebotene Ware an und flüstern dem Auktionator anschließend ihre Gebote ins Ohr. Dieser macht immer wieder die Runde, hält bei jedem an, der ihn herbeiwinkt. Er muss sich alle Offerten merken, die ihm ins Ohr geflüstert werden, und am Ende bekommt der Höchstbietende den Zuschlag.

Bis heute hat sich diese seltsame Praxis der „Flüsterauktion“ gehalten.

Den größten Fisch, den „unser“ Luigino jemals gefangen und verkauft hat, war ein 300 Kilogramm schwerer Thunfisch. Ich kann ihn mir bildlich dabei vorstellen, den wettergegerbten Fischer, draußen auf der See im Kampf mit dem Fischriesen.

Aufhören mit der Fischerei möchte er nicht und trotz des hohen Alters fährt er immer noch allein raus. „Ich habe meine eigene Lizenz und möchte fischen, solange ich kann und will.“ Während seine Frau früher oft wachgelegen habe, wenn Sturm war, schlummere sie heute ganz in Frieden. „Und wenn ich irgendwann da draußen untergehe und nicht mehr wiederkomme. Dann war’s das halt, ich bin Fischer, das ist mein Leben.“

Diese Recherche fand mit freundlicher Unterstützung von Tourismus Caorle statt. Vielen Dank dafür!

 

 

Kategorie: nah dran, Reisen

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Vom heimischen Bauernhof ins Chemielabor und raus in die weite Welt: Heute lebe ich als Journalistin und Autorin - back to the roots - im Weserbergland und darf die Reiselust mit der alten Leidenschaft für Naturthemen verbinden. In unserer binationalen Familie sind wir als Grenzwandler zwischen Deutsch und Spanisch unterwegs.

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