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Schweden: Mit dem Floß auf dem Klarälven


Ein Fluss, viele Baumstämme, hunderte Meter Seil und ein paar kräftige Leute: Damit steht einem Abenteuer auf dem schwedischen Fluss Klarälven nichts mehr im Wege.
„Jede Menge Baumstämme und Seile, damit schicken wir euch nach Süden.“ Mit diesen Worten empfängt uns Benno auf dem Campingplatz Klarälvens Camping in Stöllet im Norden Värmlands. Hier werden wir gleich ein Floß bauen und damit rund zehn Kilometer der Klarälven hinab fahren. Oder vielmehr uns treiben lassen, fahren klingt viel zu aktiv. Genau das ist nämlich die Herausforderung – für mich als Paddlerin, aber im Prinzip für jeden in unserer Zeit, die permanent nach Aktivität und Gestaltung verlangt. Sich treiben lassen. Den Fluss einfach machen lassen. Über weite Strecken nichts tun, sondern geschehen lassen.

Flößen aus Tradition

Doch vor dem Vergnügen die Arbeit (die aber auch Spaß macht). Und zwar nicht wenig Arbeit, wie wir in den nächsten Stunden erfahren werden: Das Floß muss ja erst gebaut werden. Dafür, erklärt Benno, 22 Jahre alt und Student aus Berlin, der hier das vierte Jahr den Sommer über den Floßbau beim Anbieter Vildmark i Värmland betreut, müssen die Stämme aus Kiefer und Tanne in einer bestimmten Reihenfolge zusammengebunden werden. Das fertige Floß aus drei Schichten Holz wiegt schließlich eine Tonne und schwimmt zuverlässig. Flößen hat hier eine lange Tradition: Vom 16. Jahrhundert bis ins Jahr 1991 wurde auf dem Klarälven viel geflößt. Holz aus Norwegen hat man so bis zum Vänernsee hinunter geschickt.

Nachhaltiger Öko-Tourismus

Der Klarälven ist in ganz Schweden bekannt für seine weiten, langen Kurven. Er ist bis heute wenig verbaut und auf weiten Strecken sehr naturnah. Regelmäßig überfluten Hochwässer die angrenzenden Wiesen. An dieser Stelle sind auch keine Motorboote erlaubt – perfekt für den Öko-Tourismus mit Flößen. Apropos öko: Und was passiert eigentlich mit den Stämmen, wenn wir am Ziel angekommen ist? Auch das ist sehr nachhaltig: „Die Stämme sammeln wir wieder ein und bringen sie zurück an den Startpunkt. So kann das Holz jahrelang wiederverwendet werden“, erklärt Benno. Das Gleiche gilt für die Seile. Sechs bis sieben Jahre ist das Holz so im Einsatz, pro Saison wird jeder Stamm durchschnittlich zehn- bis zwanzigmal verbaut.

Floßbau-Theorie und Knotenkunde

Bevor wir uns ans Bauen machen, steht ein wenig Theorie auf dem Programm. Die kleinen Stämme kann man auch alleine anheben, lernen wir, die großen nicht. Und merken das sehr bald selbst: Die sind ja echt richtig schwer! Handschuhe gegen Splitter sind sehr ratsam, und immer zu zweit arbeiten und sich absprechen. Außerdem die äußeren Gegebenheiten nutzen: Schwere Stämme kann man den Hang hinab ins Wasser rollen lassen. Dort sind sie viel leichter zu bewegen, und dort werden sie dann auch direkt verbaut. Wir lernen, wie die Knoten gemacht werden, freuen uns über anschauliche Begriffe für die Knoten wie „Mäuseohren“ und „Säge“, über das „N“ und das „X“. Trotzdem werden wir zwischendurch immer wieder fragen müssen, wie die Knoten nun nochmal gingen. Und Benno und seine Kollegin Lisa werden sie uns immer wieder geduldig zeigen.

Teamwork

Und dann geht es los mit dem Floßbau. Mehrere Stapel Holz lagern am Ufer des Klarälven, wir dürfen davon nehmen, welche Stämme wir wollen. Und welche passen. Bald rollen die ersten Hölzer den Hang hinab ins Wasser, wo diejenigen, die sie auffangen und verbauen, in kürzester Zeit nassgespritzt sind. Gut, dass das Wetter heute so perfekt ist und die Sonne vom knallblauen Himmel mit einzelnen Schäfchenwolken strahlt…

Die Stämme verbinden wir an beiden Seiten mit der gelernten (naja, also fast, s.o.) Schlaufentechnik, rund zehn bis zwölf Stück werden so zu einer drei mal drei Meter großen, noch sehr wackligen Fläche. Anschließend gilt es, die erste Lage um 180 Grad zu drehen, und die zweite folgt. Dann, wieder gedreht, die dritte. Zum Schluss bauen wir eine Reling außen herum – allerdings ausnahmsweise nur an drei Seiten, weil wir unsere beiden Flöße in einem letzten Schritt noch verbinden. So haben alle acht Mitfahrer Platz (sonst passen nur vier auf ein Einzelfloß). Lisa bringt uns noch ein Kanu und bindet es ans Floß, so kann man mal schnell ans Ufer und ins Gebüsch, wenn nötig. Könnte ja sein…schließlich werden wir nun vier bis sechs Stunden unterwegs sein, bis unser Ziel Bjökebo in rund zehn Kilometern erreicht ist. Dort werden wir an Land gehen und das Floß wieder in seine Einzelteile zerlegen. Bis zu zehn fahrbare Untersätze entstehen an einem Tag am Campingplatz in Stöllet in der Hauptsaison im Sommer, erfahren wir noch.

Aufbruch

Unser Doppelfloß ist fertig. Der Aufbruch naht: Eine Kiste mit Proviant bringen wir als erstes an Bord, darin sind Salat, Brötchen, Bier, Wasser, Kaffee und Zimtschnecken. Außerdem bekommen wir einen Rettungsring und Schwimmwesten. Denn der Fluss ist kalt und strömt kraftvoll, auch wenn man das auf den ersten Blick nicht sieht. Jeder bekommt ein Paddel, falls wir zurück in die Strömung gelangen müssen, und zwei bestimmt vier Meter lange Stakstangen kommen ebenfalls mit. Damit können wir uns vom Ufer oder Grund abstoßen, wenn nötig. Dann mal los!

Lisa hilft uns, das Floß vom Ufer abzuschieben, jeder findet einen Platz und wir schauen gespannt, ob wir die Hauptströmung erreichen. Oder müssen wir paddeln, um nachzuhelfen? Besser ja. Alle paddeln mit ganzer Kraft – und es tut sich erstmal gar nichts. Null. Wir paddeln weiter, und gaaanz langsam setzt sich das Floß in Bewegung, treibt gemächlich in Richtung Flussmitte. Dort nimmt es langsam Fahrt auf, wir legen die Paddel weg und widmen uns erstmal den kleinen Blessuren: Splitter in den Händen, ein paar blaue Flecken. Sonnenbrand. Egal – zu schön ist der Augenblick, überwältigend die plötzliche Ruhe auf dem Wasser. Langsam finden wir uns im Hauptstrom ein, treiben wie aus dem Lehrbuch die nächsten zwei Kurven nah am Außenufer entlang.

Den Fluss einfach machen lassen

Läuft! Jetzt erstmal ein kühles Leichtbier (… wir sind schließlich in Schweden!)! Doch die Pause währt nicht lang, wir treiben nah ans Ufer und einen umgestürzten Baum heran, der weit ins Wasser ragt. Paddeln! Alle paddeln mit voller Kraft, es hilft aber rein garnichts. Das Floß treibt in die Spitze des Baums, wir fürchten schon das Schlimmste – doch der Aufprall führt nur dazu, dass sich das Floß gemächlich um die eigene Achse dreht und den Schwung nutzt, um wieder gen Flussmitte zu dümpeln. Es gibt allerdings auch Situationen, hat uns Benno vorgewarnt, da tut sich aus freien Stücken wirklich nichts mehr. Zum Beispiel, wenn das Floß auf eine Sandbank aufläuft. Dann müssen einige ausseigen und schieben, andere mit den Stangen unterstützen. Doch wir haben Glück, nicht eine einzige Sandbank hält uns auf, denn der Klarälven führt dank vorausgegangener mehrtägiger Regenfälle viel Wasser. Und so treiben wir langsam in gemächlichem Spaziergangtempo flussabwärts, essen unser Picknick, trinken die letzten, inzwischen lauwarmen Leichtbiere und den mitgebrachten Kaffee.

Magische Stille

Alle plaudern, lachen, entspannen sich zusehends. Vorbei die erste Zeit des Aktivismus, als wir noch dauernd geguckt und gescherzt heban, ob wir ans Ufer fahren, als mit der Stakstange im Wasser herumgestochert wurde in der Annahme, irgendetwas damit bewirken zu können. Irgendwann wurde das weniger, hörte auf. Und auch wir selbst werden immer ruhiger. Merken, dass es ganz oft gar keinen Sinn ergibt, aktiv zu sein, gar mit Kraft gegenzusteuern. Bringt nichts, die Kräfte der Natur und das Gewicht des Floßes diktieren das Vorankommen. Lernen vorauszusehen, wann wir etwas tun müssen und wann wir getrost auf die Kraft das Wassers vertrauen können. Fast immer, eigentlich.

Anders als beim Paddeln hört man beim Flößen, beim Dahintreiben in der Geschwindigkeit des Flusses, nicht mal die eigenen Paddelschläge. Ein Fisch springt und platscht wieder ins Wasser zurück. Möwen sitzen am Ufer auf Zaunpfosten. Ab und zu spiegelt sich ein weißes oder rotes Haus am Ufer im Wasser. Wäsche weht im Wind. Kühe kühlen sich am Ufer ab. Ufernah weht immer mal wieder ein betörender Duft von blühenden Traubenkirschen übers Wasser. Irgendwann gibt es diesen fast magischen Moment, als alle minutenlang schweigen, den Gedanken nachhängen, die Landschaft in sich aufnehmen. Diese Stille, innen wie außen!

Auf den Himmel sind die typischen Schweden-Schönwetterwolken getupft. Eigentlich gleich zweimal, gespiegelt im sauberen, durch Huminstoffe aber braun gefärbten Wasser des Klarälven. Einmal noch fordert eine Brücke unsere Aufmerksamkeit (damit wir nicht mittig auf den einizigen Betonpfosten auflaufen… :-)), später treibt es uns in einen Bereich ganz ohne Strömung. Zeit zum Schwimmen! Das Wasser ist herrlich erfrischend, mehr als einige Minuten hält man es nicht aus. Später müssen wir alle zusammen nochmal kräftig paddeln, um das Floß Millimeter für Millimeter zurück in die Strömung zu bekommen.

Anlegestelle

Schließlich weist ein weißes Schild am linken Flussufer darauf hin, dass wir uns weiterhin links halten müssen, wenn wir anlegen wollen. Wollen wir, denn sonst geht es noch ziemlich lange weiter den Klarälven hinab… wer weiterfahren will, hält sich hingegen weit rechts. Wir paddeln nun doch lieber mit, um nah am Ufer zu bleiben. Nach einer Kurve tauchen ein kleiner Sandstrand und in den Boden gerammte Pfähle auf, an denen wir das Floß festmachen können. Das treibt geradezu mühelos ans sandige Ufer, jemand springt ins (überraschend tiefe… also nochmal komplett umziehen…) Wasser und macht das Floß fest. Geschafft! Lisa ist auch schon da und hilft beim Auseinanderbauen. Das braucht nur eine halbe Stunde: die Knoten lösen, Stämme ins Wasser rollen lassen. Eine Auffangeinrichtung hundert Meter weiter flussabwärts sammelt die ein, später werden sie zurück an den Ausgangspunkt gebracht, um irgendwann erneut als Teil eines Floßes flussabwärts zu treiben. Den Rest der Ausrüstung legen wir weiter oben an einer Holzscheune ab. Zehn Stunden sind seit dem Beginn des Floßbaus am Campingplatz vergangen. Doch innerlich fühlt es sich so entspannt an, als wären wir Tage unterwegs gewesen. Und hätten den Klarälven einfach machen lassen.

 

Infos

Anbieter der Floßaktivität: Vildmark i Värmland am Klarälvens Camping in Stöllet.

Preise: 1190 SEK/Erwachsener (ca. 115 €), darin enthalten: Anleitung und Hilfe während des Floßbaus, Holz, Seile, Schwimmwesten, Rettungsring, Paddel, Karte. Ein Kanu kostet zusätzlich 430 SEK (gut 40 €).

Der Fluss Klarälven windet sich von Norwegen ca 300 Kilometer durch die Region Värmland und ist der längste Fluss Schwedens, der nicht ins Meer mündet.

Mehr Information über Värmland gibt´s auf der Seite von Visit Värmland, mehr über ganz Schweden bei Visit Sweden.

Mehr Lust auf Natur und Wasser? Wie wäre es mit einer Bibersafari? Oder lasst euch bei einem Dinner mitten im Wald verzaubern. Die Geschichte zu „Ein Land wird Restaurant“ gibt´s auch bald hier im Blog zu lesen.

Nach Värmland und zum Floßbau-Abenteuer haben mich Visit Sweden und Visit Värmland im Juni 2019 eingeladen.

Kategorie: natürlich

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Seit ich denken kann, zieht es mich in die Natur. Und in den Norden. Das spezielle Licht im Sommer, der Duft der Wälder und die Weite des Fjälls... Als Journalistin und Buchautorin bin ich außerdem gern in Europa und in Niedersachsen unterwegs.

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