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Värmland: Tafeln im schwedischen Wald


Mitten in der Natur einen Tisch buchen und dort Essen aus lokalen, bestenfalls sogar selbst gesammelten Zutaten kochen – das geht seit diesem Jahr in Schweden. Ein Erlebnisbericht aus Värmland.

Der Wald im Naturreservat Kittelfältet ist sehr licht, er wirkt geradezu aufgeräumt und strahlt eine große Ruhe aus. Dichtes Blaubeerkraut und grau-grüne Flechten wachsen auf dem Boden. Aber was sage ich… das ist schon Flechten-Kleinkunst. So viele filigrane Gebilde auf dem Boden, Bärte, die von den Bäumen hängen…

Natur-Kunst auf dem Waldboden

Kochen mit Max

Max wartet schon. Der Schwede mit deutschem Vater ist Koch, Natur-, Outdoor- und Wanderguide – und heute begleitet er uns hier beim Kochen, mitten in Värmlands Wäldern. „Ein Land wird Restaurant“ heißt das Projekt („The Edible Country“ auf Englisch), mit dem viele schwedische Regionen es jedem ermöglichen wollen, mitten in und mit Zutaten aus der Natur gesund zu schlemmen.

Mehr noch: Das Projekt will auch zeigen, wie einfach es ist, gesunde Lebensmittel in der Natur zu finden, erklärt Max uns. Und wie leicht es gerade in Schweden ist, sie auch zu nutzen. Denn das außergewöhnliche Jedermannsrecht erlaubt es jedem, überall in der freien Natur (also nicht auf eingezäunten Grundstücken, logisch…) Pilze, Beeren und anderes Essbares zu sammeln. Warum also nicht auch gleich dort zubereiten und genießen, wo alles herkommt? „Superfood wächst bei uns gleich um die Ecke“, sagt Max, und fügr hinzu: „Kurz gesagt: Das hier ist gesunder Lifestyle plus Outdoor-Erlebnis in einem. Und es ist vor vor allem leichter, als man denkt.“
Das Konzepr von „Ein Land wird Restaurant“: Vier Sterneköche haben verschiedene Rezepte auf der Basis von lokalen Zutaten ausgearbeitet. Wer einen der hölzernen Tische in den wahnsinnig schönen Naturlandschaften bucht, findet dort immer auch eine Rezeptkarte vor. Die Lebensmittel dafür kann man selbst sammeln oder, bequemer, auch gegen Aufpreis einfach dazu bestellen. Das Gleiche gilt für Kochgeschirr und Teller. Die Tischbuchung für maximal zehn Leute ist kostenlos, Kochgeschirr zu leihen kostet überschaubare 15 Euro.

Tafeln im Wald

Vom Parkplatz (mit Plumpsklo als Basis-Infrastruktur) waren es keine zweihundert Meter Fußweg, schon standen wir vor dem Tisch. Der war heute schon gedeckt, in der Mitte eine Vase in der Mitte leuchteten üppige rosafarbene und violette Lupinen (die findet man im Sommer nicht nur in Värmland, sondern überall in Schweden an Straßenrändern und auf Freiflächen), auf den Bänken liegen Decken. Das mit den Blumen und Decken ist aber nicht immer so. Wer nur den Tisch bucht, muss selbst für Deko und Komfort sorgen. Gar kein Problem – überall wachsen ja Blätter, Moos, Flechten, liegen Zweige auf dem Boden. Kreative können sich also austoben.

Und was kochen wir heute? „Heute gibt es Zander in Butter gebraten, die leben hier nämlich in den Seen, und Sellerie-Kartoffelstampf aus jungen Kartoffeln aus Värmland. Mit frischen Kräutern. Dazu Gurkensalat mit Dill und zu trinken Wasser mit Holunderblütensirup“, zählt Max auf. Die frischen Zanderfilets packt er derweil schon aus dem Papier.

Klingt sehr lecker alles. Wir sind voller Tatendrang: Können wir denn auch noch etwas sammeln für das Menü? „Normalerweise findet sich im Wald immer etwas zu sammeln, Beeren oder Pilze zum Beispiel. Aber jetzt im Juni gibt es noch nicht so viel Essbares im Wald. Oder nicht mehr: Die ganz frischen Tannenspitzen konnte man im Mai essen, die schmecken frisch zitronig und man streut sie an Stelle von Zitrone über den Fisch. Jetzt sind die aber schon zu groß und schmecken bitter“, sagt Max. Auch das lokale Elchgras (Älggräs) ist essbar, es schmeckt nach Bittermandel. Das brauchen wir heute aber nicht.

Kartoffeln schälen zwischen Bäumen

Also Hände waschen am Kanister und los geht´s. Schneidebretter und Messer hat Max dabei. Zuerst die Kartoffeln und den Sellerie schälen und in kleine Würfel schneiden. Die värmländischen Kartoffeln sind für ihre Qualität berühmt in Schweden, erfahren wir nebenbei. Wir kochen sie auf zwei kleinen Gaskochern. Unter Max´Aufsicht werden auch die Zanderfilets gepfeffert und gesalten, später meliert er sie und brät sie in viel Butter, bevor sie mit Zitrone auf die Teller kommen.

Die Stimmung im värmländischen Wald ist ausgelassen, selten hat Küchenarbeit so viel Spaß gemacht wie hier. Kochen in der Gruppe und an solch einem Ort ist aber auch ein großartiges Erlebnis!

Anti-Stresstherapie Värmland

Drei Schweden kommen mit ihrem Hund vorbeispaziert. Während die ersten zwei uns keines Blickes würdigen, sondern starr geradeaus schauen – das ist keine Unhöflichkeit, sondern vielmehr die sehr schwedische Rücksichtnahme -, grinst der dritte, stoppt und sagt: „Ich habe schon davon gehört, dass man hier einen Tisch buchen kann. Sieht super aus! Und tolles Wetter habt ihr auch! Dann mal guten Appetit!“ – und weg ist auch er.

Max brät jetzt den Fisch und nebenbei erzählt er von dem wohltuenden Effekt der Natur in Värmland: „Wenn meine Freunde aus Berlin oder so zu Besuch kommen, sind sie noch drei Tage lang im Stress, danach kommen sie merklich runter. Wenn sie dann aber zurück in der Stadt sind, haben einige schon angerufen und gesagt, Hilfe, ich werde verrückt hier in dem Lärm und der Hektik und mit den vielen Menschen.“
Wir schlemmen den super frischen Fisch, um uns herum zwitschern die Vögel. Bevor es Kaffee gibt, zeigt uns Max – schließlich ist er ausgebildeter Outdoorguide – ein wenig das Naturreservat Kittelfältet.

Moltebeeren und Märchenseen

Wir lassen den Tisch und alle Zutaten zurück („… das hier ist Schweden, da klaut kein Mensch was im Wald!“) und kommen schon nach kurzer Gehzeit an einer Senke vorbei, in der Moltebeeren wachsen. Die leckeren nordischen Beeren leuchten goldgelb, wenn sie reif sind, und schmecken köstlich. Zum Beispiel als Marmelade zu Waffeln. Köstliches heimisches Superfood also, eine Vitaminbombe obendrein… schade, dass sie erst im August reif werden, jetzt im Juni bildet sich gerade erst die Blüte.

Moltebeeren (bald lecker)

Max erzählt, wie diese sehr hügelige Landschaft entstanden ist und welche Rolle das Eis dabei gespielt hat. „Eisblockgräber“ heißen die Täler hier in Värmland auch. Hinter der nächsten Kuppe liegt ein neuer See, er schimmert magisch blaugrün und ist unglaubliche 65 Meter tief. Das schmelzende Eis hat auch dieses fast unwirklich schöne Natur-Kunstwerk geschaffen.
„Hier in Värmland beginnt das Fjäll“, erklärt Max die Landschaft. Das nordische Bergland zieht sich bis in den hohen Norden. Er berichtet von den Kiefern, in deren Inneren sich Terpentin bildet. Deswegen brennen die Nadelbäume auch so schnell und vor allem wie eine Fackel. Wie man sich im Wald orientieren kann, lernen wir ebenfalls: „Sucht nach einem Ameisenhaufen, die liegen fast immer im Schutz eines Baums auf seiner Südseite. Und schaut genau auf die Bäume: Sie haben auf der südlichen Seite mehr Äste, weil sie dort mehr Licht bekommen.“ Alle Augen wandern nach oben: Stimmt tatsächlich! Wir erfahren auch, dass das größtes Wandergebiet der Region Glaskogen heißt und in Värmland die größte Wolfsdichte in ganz Schwedens herrscht. Auch das Wappentier des Landes ist der Wolf. Max schätzt, dass es insgesamt vielleicht 400 Wölfe in Schweden gibt. „Man sieht sie aber nie, Wölfe sind sehr scheu.“

Outdoor-Tricks von Profi

Für Mehrtageswanderer hat der Outdoor-Profi auch noch einen Tipp: Wenn die Klamotten gewaschen werden müssen, kann man ganz einfach Birkenblätter benutzen. Vor allem die jungen enthalten Saponine, seifige Stoffe. Birkenrinde hingegen eignet sich prima zum Feuermachen. Also immer gut, wenn Birken in der Nähe sind!
Das ist das Stichwort: Feuer, Kaffee… Wir kehren zur Wald-Tafel zurück und über den beiden Kochern brodelt bald je eine Kanne typisch schwedischer Kochkaffee, aus einem Weidenkorb werden frische Zimt- und Puddingschnecken gezaubert. Schwedischer kann ein Dinner nicht enden. Und wie war es insgesamt? Die Gruppe denkt nach: Lecker. Entspannt. Teil der Natur. Mit einem Wort: herrlich.

Info Ein Land wird Restaurant

Die derzeit 13 buchbaren Tische von „Ein Land wird Restaurant“ stehen alle an außergewöhnlich schönen, für die jeweilige region typischen Orten: im Wald, am Meer, auf dem Berg.

Der Tisch im Naturreservat Kittelfältet ist von Mai bis September mittwochs und sonntags buchbar, auf Wunsch auch mit Lebensmitteln, einem Naturguide, der euch bei der Suche der Nahrungsmittel hilft, oder einem Koch wie Max (er macht das super!). Zudem bietet das Fremdenverkehrsamt Värmland typisch schwedische Sonderthemen wie „Monica Zetterlund“ und „Krebsfest“ dort an. Pro Tag gibt es nur eine Buchung (man kann sich also so viel Zeit lassen, wie man will), bis zu zehn Personen finden Platz am Tisch.

Buchung: Buchbar über die Website von Visit Sweden, Visit Värmland und direkt über das Buchungssystem Bookatable

Preise: Tischbuchung gratis (inkl. Rezept). Zubehör: Für 150 SEK (ca. 15 €) bekommt man die Kochausrüstung. 600 SEK/Person (60 €) für die Lebensmittel, 900 SEK (90 €) mit Koch.

Hier findet ihr einige der Rezepte.

Info Värmland
Värmland grenzt im Süden an Västergötland und Dalsland, im Westen an Norwegen und im Osten an Dalarna, Västmanland und Närke. Wasser und Wald sind überall präsent: Es gibt mehr als 10 000 Seen und Flüsse, der größte davon der Vänersee im Süden. Mit einer Fläche von rund 5 500 Quadratkilometern ist er nicht nur der größte See des Landes, sondern auch der drittgrößte Europas. Der Fluss Klarälven fließt aus dem norwegischen Bergland etwa 300 Kilometer durch Värmland. Man kann auf ihm paddeln oder sich mit dem Floß flussabwärts treiben lassen.

Noch ein paar Zahlen: Auf einer Fläche von gut 19 000 Quadratkilometern leben ca. 320.000 Menschen, das sind 17 Personen pro Quadratkilometer. Ziemlich wenige. Zum Vergleich: In Deutschland beträgt die Bevölkerungsdichte 237 Menschen pro Quadratkilometer. Mit gut 70 000 Einwohnern ist Karlstad die größte Stadt in Värmland. In ganz Schweden gibt es geschätzt 300 000 bis 400 000 Elche, davon ganze 100 weiße. Die meisten von diesen seltenen Exemplaren leben in Värmland. Und auch viele Künstler leben und lebten hier, wie die Schriftstellerin und (erste weibliche Literatur-)Nobelpreisträgerin Selma Lagerlöf. Ihr Heim Mårbacka, ein Herrenhof ausserhalb von Sunne, kann man nahezu ganzjährig besuchen. Auch die Schaupielerinnen und Sängerinnen Zarah Leander und Monica Zetterlund stammen aus Värmland. Alfred Nobel lebte zuletzt in Värmland auf Björkborns Herrgård, man kann deshalb das Nobel-Museum in Karlskoga besuchen.

Mehr Information über Värmland: www.visitvarmland.se

Nach Värmland wurde ich im Juni 2019 von Visit Värmland und Visit Sweden eingeladen.

Kategorie: natürlich

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Seit ich denken kann, zieht es mich in die Natur. Und in den Norden. Das spezielle Licht im Sommer, der Duft der Wälder und die Weite des Fjälls... Als Journalistin und Buchautorin bin ich außerdem gern in Europa und in Niedersachsen unterwegs.

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