natürlich, Reisen
Kommentare 5

Fårö, Gotlands kleine, wilde Schwester

Gotlands kleine Schwesterinsel Fårö ist karg, wild und irgendwie eine ganz andere Welt. Auf Stippvisite bei Rauken, Lambgifts und Fischerhütten.

Gelb leuchtend liegt er vor mir, der Eingang in eine andere Welt. In Form einer Autofähre – und die ist obendrein kostenlos, weil sie zum öffentlichen Straßennetz gehört und sozusagen eine Brücke ersetzt. Damit setzten wir in sechs Minuten über die Ostsee von Fårösund im Norden Gotlands nach Fårö über, der kleinen Insel nördlich davon. Sven-Åke Asklander wartet schon. Mit ihm als Guide werden wir die Insel heute auf dem Fahrrad entdecken . Ich bin gespannt: Schon lange möchte ich Fårö sehen, das einst den berühmten schwedischen Regisseur Ingmar Bergman so faszinierte, dass er sich hier niederließ. In mehreren seiner eindringlichen Schwarz-Weiß-Filme verwendete er die karge Insel als Kulisse. Besonders auf die Rauken freue ich mich, die bis zu zehn Meter hohen Figuren und Säulen aus Kalkstein, die vor allem im Norden Fårös am Strand stehen.

Fårö – far out

Sven-Åke zeigt auf der Karte die Route der Radtour, die vor uns liegt. Die südliche Spitze der Insel fahren wir zuerst ab, dann quer über die Insel, an der Kirche vorbei, an der Bergmann begraben liegt, bis Langhammars, ein Naturreservat ganz im Norden, das die beeindruckendsten Rauken nicht nur Fårös, sondern ganz Gotlands beherbergt. Sattel einstellen, Helm aussuchen und los geht’s. Dafür, dass gestern noch Regenschauer angesagt waren, scheint die Sonne erstaunlich warm vom knallblauen Himmel. Die Insel scheint ihren eigenen Kopf zu haben, auch was das Wetter angeht.

Nach einem kurzen Stück auf Asphalt biegen wir rechts ab, bald werden die von Wacholderbüschen gesäumten Wege steiniger, später zeitweilig richtig rumpelig. Dann sind wir im Naturreservat Ryssnäs, das in karger Landschaft eine reiche Vogelwelt schützt. Immer wieder kreuzen wir Kalksteinmauern, mit denen die Bauern ihre Weiden begrenzten. Kunstfertig zusammengepuzzelt sind sie, kleine Meisterwerke. Fårö heißt übersetzt Schafinsel, erzählt Sven-Åke, aber auch, wenn hier draußen tatsächlich viele Schafe leben, leitet sich das Wort nicht von ihnen ab. Es kommt vielmehr von einem altgotischen Wort, das so viel wie „weit draußen“ bedeutet, also die Insel, zu der man weit hinausfährt. Und weit, weit draußen ist man hier zumindest gefühlt wirklich, fernab von Orten und vielen Menschen. Eine ganz eigene, karge Welt.

Engelska Kyrkogården

Wir stoppen an einem Parkplatz mit Info-Schild. Hier liegt der englische Friedhof, ein Ort, an dem im 19. Jahrhundert 20 englische Seeleute begraben wurden. Sie starben während des Krim-Krieges an der Cholera. Damals kämpfte eine englisch-französische Flotte gegen Russland, an die hundert Kriegsschiffe lagen hier. Einige große Kalksteine und eine Eisenkette kennzeichnen in lichtem Kiefernwald vor dem Strand mit seinen lockeren Steinen (Klappersteine genannt) die Grabstelle. Gleich daneben steht ein Holzhaus, das lustig verzweigte Äste an den Giebeln trägt. Sie erinnern mich an die Fühler von Insekten. Es ist ein Schafstall mit Futterlager, wie er überall auf der Insel zu finden ist, erklärt Sven-Åke, genannt Lambgift. Die Äste dienten dazu, Hexen abzuhalten. Auf dem Boden des Naturreservats wächst duftender Strandthymian, der in der inzwischen erstaunlich heißen Sonne (dabei hat die Luft nur 20 Grad) sein würziges Aroma verströmt.

Rauken in Langhammars

Wir kommen an Ingmar Bergmans Kino vorbei – in seinem privaten Lichtspielhaus pflegte er jeden Tag Filme zu gucken – und gelangen zur Kirche von Fårö in der Mitte der Insel. Hier befindet sich ganz am Rand des Friedhofs das Grab von Bergmann und seiner fünften Frau Ingrid. Der Regisseur starb hier 89-jährig im Jahr 2007. Wer mehr über ihn und sein Werk erfahren will, kann das im Bergmanncenter gegenüber. Es wurde im Jahr 2014 eingeweiht und gehört zum filmischen Welterbe. Nebenan liegt außerdem das Heimatmuseum der Insel.

Wir jedoch nehmen direkt Kurs auf den äußersten Norden der Insel, zum Naturreservat Langhammars. Pferde stehen auf einer großen, von einer Steinmauer eingefassten Weide, die eher einer Steppe gleicht. Die Landschaft verändert sich zusehends. Sie wird karger und die Wacholderbüsche scheinen zu schrumpfen. Die Sonne flimmert über dem hellen Kalksteinboden. Als sich die Büsche nur noch flach an den Boden drücken, sind wir da: Das Schutzgebiet Langhammars ist berühmt für seine bis zu zehn Meter hohen Rauken. Die Säulen und Figuren sind Überbleibsel eines verwitterten Kalksteinriffs. Der Ort ist irgendwie mystisch. Kraftvoll. Man möchte einfach nur dasitzen und ihn auf sich wirken lassen. Gesichter und Tiere erscheinen in den Steinen und ändern sich stetig, wenn man um sie herumgeht.

Helgumannens Fischerstelle

Einige Kilometer weiter südlich zeichnen sich am Ufer der Ostsee auf dem hellen Steinstrand dunkel die Holzhütten von Helgumannen vor dem blauen Wasser ab. Eng beieinander kauern sie, die noch erhaltenen fünfzehn einfachen Hütten. Einst waren es mehr, denn Helgumannen war früher Fårös wichtigste Stelle für den Heringsfang. Die Fischer und die Bauern, die im Winter ebenfalls auf Fisch angewiesen waren, errichteten sie, um hier vor oder nach dem Fang einen warmen Wetterschutz zu haben. Zudem soll ein heiliger Mann (helge man) hier gewohnt und regelmäßige Andachten abgehalten haben.

Heute parken oberhalb der Hütten ein paar Wohnmobile, aber der Ort ist alles andere als überlaufen. Neben den Hütten trocknen auch heute im Netzgarten ein paar Fischernetze auf hölzernen Gestellen. Genial einfach sind die alten Leuchtfeuer, Eisenkörbe, die man an einem Pfosten in die Höhe zog, um so von See wichtige Stellen an Land zu markieren. Mit dicken Steinen abgedeckte Boote liegen am Ufer, Seilwinden warten darauf, sie aus dem Wasser zu ziehen. Hier arbeitete Ende des 18. Jahrhunderts auch Bodilla Christina Jacobsdotter als einzige Frau. Doch Båta-Bol, wie sie genannt wurde, segelte sogar unerschrocken allein nach Visby und behauptete sich unter den Fischern. Nach ihr ist eine der beiden gelben Autofähren benannt, die über den Fårösund pendelt.

Infos zu Fårö

Fahrräder und Erlebnispakete auf Gotland und Fårö vermietet Life Outdoor.

Lecker essen und in Zimmern oder kleinen Ferienwohnungen mit Küchenzeile übernachten kann man im Hof Stora Gåsemora.

Oder in Fårösund kurz vor der Fähre stylisch in einer alten Festung übernachten (allerdings nur im Sommer): Fårösunds Fästning

Mehr Infos zu Schweden und Gotland: Visit Sweden

Buchtipp: Rasso Knoller: Gotland. Reise Know-How Verlag, 7., aktualisierte Auflage 2019/20, ISBN 978-3-8317-3263-0, 16,90 €. Handlicher Reiseführer, der über alle Regionen Gotlands inkl. Fårö informiert und auf einem informativen Stadtrundgang durch Visby führt.

Die Reise nach Gotland und Fårö haben Visit Sweden und Destination Gotland unterstützt. Tusen Tack!

Mehr Schwedengeschichten hier im Blog: Im Glashaus in Dalsland, auf den Wetterinseln oder im Wald in Värmland.

Kategorie: natürlich, Reisen

von

Seit ich denken kann, zieht es mich in die Natur. Und in den Norden. Das spezielle Licht im Sommer, der Duft der Wälder und die Weite des Fjälls... Als Journalistin und Buchautorin bin ich außerdem gern in Europa und in Niedersachsen unterwegs.

5 Kommentare

    • Vielen Dank! Es ist echt toll dort, ich wäre gern viel länger geblieben. So eine tolle Landschaft und so besondere Vögel und Pflanzen… dazu ein andermal mehr.
      LG Anke

  1. Pingback: NordNerds Monatsrückblick September 2020 - Nordlicht unterwegs

Kommentar verfassen