Letzte Woche flitzten sie wieder durch die Straßen von Pamplona – in weißer Kluft und mit roten Schärpen. Auf enger Tuchfühlung mit den mächtigen Kampfstieren hinter ihnen. Verpasst wegen Weltmeisterschaft? Kein Problem, das Hemingway-Feeling gibt es viel schöner außerhalb des Massenauflaufs zur Fiesta San Fermin. Ich war unterwegs auf den Spuren des Autors in der Stadt Pamplona und der Provinz Navarra. Hier kommen die wichtigsten Stationen der Hemingway-Route:
Calle Eslava Nummer 5:
Es war der Abend des 6. Juli 1923, als ein junger Korrespondent des Toronto Star in Pamplona ankam. „Hier hat er seine erste Nacht verbracht“, sagt Fremdenführer José Luis Salazar und zeigt auf ein Fenster im vierten Stock der Calle Eslava 5. Damals gab es hier eine billige Pension, Ernest Miller Hemingway war noch unbekannt, ein finanziell klammer Reporter. Pamplona zog ihn sofort in den Bann, so sehr, dass er schon an seinem zweiten Tag in der Stadt am Stierlauf teilnahm – und unter dem Eindruck dieses Aufenthaltes seinen ersten Roman „Fiesta“ verfasste.
Damals konnte er sich noch kein Zimmer im berühmtesten Haus vor Ort leisten, dem Hotel La Perla. Also hielt er sich mit vielen Stierkampf-Fans in der Lobby auf, um einen Blick auf die Toreros zu erhaschen, die hier übernachteten, und um mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Später, als Hemingway selbst zu Geld und Ruhm gekommen war, kehrte er regelmäßig ins „La Perla“ zurück.
Estafata
Vom Hemingway-Zimmer aus hat man noch heute eine fantastische Sicht auf die Stiere und Läufer, die sich durch die schmale Straße „Estafata“ zwängen: Während der Fiesta stürmen die Stiere direkt unter den Balkonen entlang. Kein Wunder also, dass Hemingway sich hier einmietete, sobald er es sich leisten konnte. Ein ehemaliges Zimmermädchen erinnert sich, dass er immer um sieben Uhr mit Frühstück geweckt werden wollte, um vom Balkon aus das Spektakel zu beobachten. Allzu oft stand allerdings in späteren Jahren das Frühstück um zehn noch unberührt auf dem Tisch.
Hotel la Perla
Fernando Hualdo (rechts) arbeitet schon seit Jahrzehnten als Rezeptionist im Hotel. Er ist geschichtsbegeistert, sammelt alles zur Historie des Hauses, befragt ehemalige Angestellte zu ihren Erlebnissen mit dem Autor. Keine Frage zu Hemingways Aufenthalten in Pamplona, die er nicht beantworten könnte: „Pamplona verdankt ihm viel, aber der Ort hat ihm auch viel gegeben“, ist sein Resümee. Im 2. Stock, im einstigen Zimmer 217 (heute 201), übernachtete Hemingway bei seinen unzähligen Aufenthalten. Das Mobiliar sieht noch fast genauso aus wie damals, behutsam renoviert, um nichts von seinem alten Charakter zu zerstören: „Wir haben allein zwei Jahre gebraucht, um den richtigen Bezugsstoff für das Sofa zu finden“, erklärt Fernando.
„Normalerweise wohnen in Pamplona 200 000 Menschen, zur Fiesta sind wir inzwischen eine Million“, sagt er. Die Hotelpreise vervielfachen sich an jenen Tagen, in den Straßen wimmelt es von Touristen aus aller Herren Länder. Dank Hemingway kommen sie am 7. Juli in Scharen. Während der Fiesta gibt es auch keine Möglichkeit, das Hemingway-Zimmer zu besichtigen: Das Hotel ist ausgebucht. Das Zimmer kostet normalerweise 500 Euro pro Nacht, zur Fiesta schnellt der Preis auf 2000 Euro hoch. Von hier aus zog es Hemingway oft ins Gebäude nebenan, ebenfalls an der Plaza del Castillo gelegen – in das traditionsreiche
Café Iruña
„Iruña – Das ist das baskische Wort für Pamplona“, übersetzt Reiseführer José Luis. Auch das sieht noch genauso aus wie damals. Als Hemingways Lieblingsbar in Pamplona hat es zursätzlich Berühmtheit erlangt. Schnörkelige Säulen im Jugendstil tragen die geschnitzte Holzdecke. Alte Damen trinken hier am Nachmittag ihren Café mit einem Schuss Wermut und schwatzen. An der langen Theke gibt es Tapas und in der Bar weiter hinten erinnert eine lebensgroße Bronzestatue an den berühmtesten Stammgast. Atmosphäre pur.
Hemingway hat Pamplona mindestens so sehr geprägt wie die Stadt ihn. Auch vor der
Stierkampfarena
ist er in einer Statue verewigt…
Und noch etwas prägt Pamplona – die
Pilger vom Jakobsweg:
Schon in seinem Roman Fiesta erzählt Hemingway davon, wie viele von ihnen den Zug Richtung Pamplona bevölkern. Heute sehen die Pilger nur etwas anders aus. Mit bunten Rucksäcken statt Leinen, mit Wanderstöcken aus Karbon statt Holz, Funktionskleidung und atmungsaktiven Wanderschuhen marschieren sie durch die Straßen.
Pilger über Pilger trifft man auch eine Stunde nordöstlich, im
Kloster Roncesvalles
Wer hier übernachtet, kann aber gleichzeitig auf Hemingways Spuren wandeln – fernab der Wanderer-Autobahn namens Jakobsweg.
Der Autor verbrachte seine Freizeit nicht nur in Bars, sondern liebte die Natur, die Jagd und das Angeln. Oft unternahm er Ausflüge in den Wald und an den Fluß von Irati. Im
Hotel Burguete
im Nachbardorf von Roncesvalles erinnert man sich noch gut an ihn: „Er hat immer gebratenes Hühnchen bestellt und Wein und Brot zum Picknick mitgenommen“, erzählt Hotelchef Iñaki Yoller. Es riecht hier nach alten Möbeln. Das braune Klavier, das Hemingway in seinem Roman beschreibt, steht immer noch an seinem Platz.
Und auch das Zimmer hat sich kaum verändert, von dem aus der Autor zu Angelausflügen und Spaziergängen in die Natur aufbrach. Ob er für das Hemingway-Zimmer höhere Preise verlangt? Ach nein, Iñaki Yoller winkt ab, eigentlich kommen bisher vor allem Pilger hierher, das mit dem Hemingway habe er noch gar nicht so wirklich vermarktet.
Schade, denn die Natur ist hier heute noch genauso atemberaubend wie damals: Hemingway sagte einst, dies sei der letzte mittelalterliche Wald Europas. Zumindest ist der
Selva de Irati
aber eines der größten Waldgebiete auf unserem Kontinent. Viele Sagen ranken sich um die lichten Buchenwälder mit den moosüberwachsenen Baumgreisen. Eine besonders schöne Aussicht über die Landschaft bietet der „Mirador de Ariztokia“. Bis zum Horizont reichen die bewaldeten Hügel, hindurch schlängelt sich der türkis-grüne Fluss Irati mit seinen Stauseen, in der Luft ziehen Bartgeier und Steinadler majestätisch ihre Kreise. Dass der Autor hier Entspannung und Ausgleich für die Seele fand, ist kein Wunder.
Die Region bietet aber noch ein weiteres, verstecktes Kleinod für Hemingway-Fans: Das kleine Dorf
Aribe
liegt fernab vom Jakobsweg am Irati. Heute steht die ehemalige Bar mit dem gusseisernen Balkongittern zum Verkauf, in der Hemingway nach dem Angeln einzukehren pflegte. Wer von hier aus dem Flusslauf folgt, hört nur das Zirpen der Grillen und das Rauschen des Flusses. Auf einem Steinvorsprung war Hemingways Lieblingsplatz, hier saß er mit seiner Angelroute und erholte sich vom Trubel in Pamplona. Keine Menschenseele weit und breit stört die Einsamkeit, noch heute.
Lekunberri
Die letzte Station auf den Spuren Hemingways ist das Dorf Lekunberri im Westen der Provinz Navarra. Im ehrwürdigen Hotel Ayestarán hat der Autor gewohnt, damals schon im fortgeschrittenen Alter und mit wesentlich mehr Geld in der Tasche als bei seinem ersten Aufenthalt in der Region. „Hemingway war laut Erinnerung meiner Eltern zweimal hier“, sagt Chefin María Jesús Ayestarán. Damals war das nahe gelegene San Sebastián das Monaco Spaniens, mit Casinos und allen Vergnügungen für die Reichen und Schönen. Im Hotel Ayestarán suchte die High Society die Ruhe zum Gegenpol San Sebastián. Hemingway war damals bereits Nobelpreisträger. Viele Geschichten ranken sich um seine Aufenthalte, etwa die, als zwei Italienerinnen vor dem Hotel standen und darum baten, zum Autor vorgelassen zu werden. „Sind sie hübsch? Dann lasst sie herein“, soll Hemingway gesagt haben. An den Wänden hängen noch heute Bilder und Vergrößerungen, die er Marías Eltern geschenkt hat.
Auf einem blickt er mit alten, traurigen Augen in die Kamera. Irgendwie vertieft sich der Eindruck, dass Geld und Ruhm ihn nicht glücklicher gemacht haben. Um ein wenig mehr von Hemingway zu verstehen, braucht es nicht die vollgestopften Straßen und den Lärm zur Fiesta von Pamplona: Wer auch die feinen Töne wahrnehmen will, sollte die Region lieber ohne Stierhatz besuchen.
Diese Recherche wurde unterstützt vom Spanischen Fremdenverkehrsamt Frankfurt und dem „Königreich Navarra“. Vielen Dank dafür!