Kurz hinter Berlin quasi, wo die Oder ins Meer mündet, liegt Stettin – oder für geübtere Zungen: Szczecin. Die polnische Zungenbrecher-Hafenstadt (in etwa: Schtschetchin) birgt spannende Geschichte in ihrem Bauch. Wir sind den Lichtern und Geräuschen nach unten gefolgt…
… und bekommen eine Ahnung davon, wie man sich im Krieg in einem Luftschutzbunker fühlt. Im Weltkrieg oder auch aktuell? Jedenfalls wabert zwischen dicken Mauern und spärlicher Beleuchtung eine Geräuschkulisse, die zwischen Menschenstimmen, Fliegerbrummen oder auch dumpfen Einschlägen wechselt. Pappfiguren und Malereien, Neonfarben und Lichtflackern untermalen das Szenario. Gruselig zuweilen.
Warum will man sich sowas antun? Gute Frage.
Warum besucht man Ritterburgen samt Verlies? Warum ein Kriminalmuseum mit Folterinstrumenten? Warum Gedenkstätten zu den Weltkriegen, Ausstellungen dazu? Um Geschichte zu verstehen? Wenigstens nachzuvollziehen? Oder die Aktualität?
Sichere Mauern unterm Hauptbahnhof
Hier unter Szczecins Bahnhof jedenfalls erleben wir die Seite der „kleinen Leute“, die vor den Bomberangriffen in die Tiefe flohen. In den damals größten Schutzbunker, 1941 gebaut, gerade noch rechtzeitig, Mit drei Meter dicken Betonmauern, rund fünf Etagen unter der Erde, bewahrte er die Menschen vor Luftangriffen, die oben die Stadt nach und nach in Schutt und Asche legten. Vor allem in den letzten drei Kriegsjahren.
Rund 5000 Personen sollten hier Platz finden, es gab eigene Räume für Kinder, für Frauen, Wasser- und Essensversorgung, Räume für ärztliche Behandlung. Für Wunden, wie sie der Krieg in der Zivilbevölkerung schlägt. Lange Gänge, Treppenhäuser, kleine und größere Räume. Und vermutlich war es meistens eng und eher dunkel…
Na ja, „wir erleben hier unten“ ist zu hoch gegriffen. Aber ich kann mir ansatzweise vorstellen, wie sich das angefühlt haben muss. In den Bunker-Gängen begegnen wir immer wieder lebensgroßen Figuren, die auf Bänken sitzen oder ihre Koffer schleppen. Dazwischen Informationstafeln, Polnisch – Englisch – Deutsch, zu den Details und Hintergründen. Kleinen Vitrinen mit Objekten. Unwissend kommt hier jedenfalls keiner wieder raus…
Szczecin und seine Vergangenheiten
Und dabei ist es gar nicht wichtig, denke ich mir, dass Stettin damals noch eine deutsche Stadt war und erst nach dem Krieg zu Polen gerechnet wurde. Zuvor war es auch schon pommersch, schwedisch, brandenburgisch, wieder schwedisch, russisch, brandenburgisch, preußisch, französisch-napoleonisch und wieder preußisch gewesen. Menschen in der Mitte Europas halt…
Sollte man überhaupt Kinder mit herunter nehmen? Schon, ja, wenn man sie vorbereitet, damit sie keine Angst bekommen. Für die kleineren ist es eine „Abenteuerexpedition“ mit bunten Bildern und Lichtern. Die größeren verstehen schon mehr, aber auch, dass es sichere Orte gibt. Und Hilfe. Ahnen vielleicht jetzt mehr, wie Kinder anderswo in Bunkern und U-Bahn-Stationen sitzen und eine andere Realität erleben? Und sie sehen die Bilder vom damals zerstörten Schloss, der Altstadt, und wie sie heute aussehen…
Kalter Krieg und Aufstände
Leichter wird die „Kost“ dann aber im zweiten Teil der Tour, wenn es in die Nachkriegszeit geht. Auf der einen Seite Überwachungstechnik der Geheimdienste, auf der anderen bunte Revolte mit Popmusik, die Aufstände der Jugend. Und der Gewerkschaft Solidarność, die in Szczecin neben Danzig ihr zweites Standbein hatte. Besonders die polnischen Besucher fotografieren sich gern zwischen 70er-Jahre-Cassetten oder der riesigen roten Konservendose mit Szczeciner Paprika!
Gut zu wissen
Vor der Corona-Zeit war der Bunker nur in großen geführten Touren zugänglich, man musste sich für einen der Schwerpunkte entscheiden. Heute gehen alle in ihrem eigenen Tempo, wenn auch ohne Erzähler. Helm auf und ab dafür!
- Website zum Bunker: https://schron.szczecin.pl/abc-info-de
- Der Zugang liegt auf der Südseite des Bahnhofs oder geht über eine Treppe ab Gleis 1
- Tourismus-Infos Szczecin: https://visitszczecin.eu/de
- Alles über Besuche in Polen: https://www.polen.travel/de