Unter der Hauptkirche in Wolfenbüttel ruhen die Welfenfürsten und ihre Angehörigen in aufwändig verzierten Sarkophagen. Ein leicht morbider Ausflug in die Unterwelt.
Steinerne Treppenstufen führen hinab, Schritt für Schritt schwindet das Licht. Unten bläst eisiger Winterwind aus einem Loch in der Wand: Die Gruft muss gut belüftet werden. In der unterirdischen Welfengruft stehen zum Teil üppig verzierte Sarkophage, einige aus Stein, die meisten aus Zink. Es ist eine ganz eigene Welt hier unten, und ein starker Kontrast zur Hauptkirche oben drüber: Der erste bedeutende protestantische Großkirchenbau der Welt vereint einen harmonischen Stilmix aus gotischen Fenstern, Renaissanceelementen und barocken Giebeln.
Besonders beindruckend ist der opulente Epitaphaltar mit viel Gold, genannt „Prager Altar“. Zur Welfengruft führt rechts vor dem Altarraum eine schwarze Holztür mit goldener, lateinischer Inschrift. Ebenerdig betritt man einen Vorraum. Hier, noch im Tageslicht, stimmt eine kleine Ausstellung zum Welfen-Fürstenhaus auf deren Grablege ein. Dann geht es eine breite Treppe hinab. Schritt für Schritt wird es kälter.
Sarkophag auf Löwenfiguren
Kurz danach finden witr uns eine Etage tiefer im jüngeren herzöglichen Grabgewölbe wieder. Es ist nicht nur empfindlich kalt hier unten, sondern außerdem noch ziemlich klamm. Und sehr finster. Zum Glück gibt es einen Lichtschalter, den unser Guide betätigt, ehe es zu gruselig wird. Elektrisches Licht beleuchtet jetzt Särge in zwei langen, weiß gekalkten Gängen. Direkt neben uns stehen in einem Gewölbe drei reich verzierte Sarkophage. Der mittlere von ihnen ruht auf steinernen Löwenfiguren.
Die metallenen Särge bewahren die sterblichen Überreste von „Bücherfürst“ Herzog August dem Jüngeren, seiner Frau Sophie Elisabeth und ihrer Schwester. Eben jenes Herzogs, der mit seiner Liebe zu Büchern und emsiger Sammelleidenschaft den Grundstein für die berühmte Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel legte. Die betrachtete man seinerzeit sogar als achtes Weltwunder.
Protzig bis in den Tod
26 Welfenfürsten und deren Verwandte sowie drei weitere Fürsten sind in der Gruft beigesetzt. Ein Sarg ist besonders groß: Anton Ulrich und seine geliebte Gattin Elisabeth Juliane liegen in einem breiten Doppelsarg. Der Herzog wollte auch im Tod nicht getrennt von ihr sein.
Der XL-Sarkophag ist kunstvoll und aufwändig verziert – eine letzte Ehre für den Toten, der darin liegt. Und sehr passend. Denn der Fürst von Braunschweig-Wolfenbüttel wollte schon zu Lebzeiten beeindrucken. Er soll eine schillernde Persönlichkeit gewesen sein und selbst im Sarg noch seinen Samtmantel und eine blonde Lockenperücke tragen. Sein Vorbild war nämlich Ludwig XIV., und wie der legendäre Sonnenkönig liebte der Welfe es protzig, lernen wir.
Gut 150 Jahre lang bestatteten die Welfen ihre Fürsten und deren Angehörige in der Gruft unter der Hauptkirche. Heinrich Julius war der erste, der hier 1613 noch eher schlicht beigesetzt wurde. 1767 erfolgte letzte Bestattung in Wolfenbüttel, danach ließ sich die Welfenfamilie wieder im benachbarten Braunschweig zu Grabe tragen.
Inschriften, Totenköpfe und Engel
Die im Stil der Spätrenaissance und des Barock mit lateinischen und deutschen Inschriften, Totenköpfen, Engeln und anderen Bildern verzierten Sarkophage bestehen überwiegend aus Zinn. An einem kleinen Kindersarg halten goldene Löwenköpfe Ringe im Maul.
Hochwasser und damit verbundene Wassereinbrüche in die Gruft ließen vor allem diese Metallsärge im Laufe der Jahre instabil werden; manchmal fielen dann sogar Knochen durch die gebrochenen Unterseiten auf den Fußboden. Eine grundlegende Restaurierung war mehr als überfällig. Nach neun Monaten Restaurierung konnte die Welfengruft im Jahr 2015 schließlich wieder geöffnet werden. Seitdem steht sie Besuchern offen, die sie allein oder im Rahmen einer Führung besichtigen können.
Doch Moment: Sind die Sarkophage eigentlich allesamt schief gebaut? Oder ist der Fußboden so uneben? Die Särge haben nämlich eine höhere und eine tiefere Seite. Nein, das ist Absicht: Die Särge sind nach Osten, dem wiederkehrenden Jesus entgegen ausgerichtet und an der Kopfseite tatsächlich höher als an der Fußseite. Die Neigung steht für die Auferstehungshoffnung, erklärt unser Guide. Uns reicht es vorerst, die Treppe wieder hinaufzusteigen und uns im Licht der Kirche wiederzufinden. Auch die ist einen genaueren Blick wert. Und danach über den Kornmarkt in die gemütliche Innenstadt von Wolfenbüttel, Fachwerk gucken und bei einem Kaffee aufwärmen.
Gut zu wissen
Welfengruft
Kornmarkt
38300 Wolfenbüttel
Telefon: 05331.2892
Eintritt 1 Euro als Spende. Führungen durch die Gruft können auf Anfrage gebucht werden, sie kosten 10 Euro pro Gruppe.
Öffnungszeiten
Dienstag- Samstag 10 – 12 und 14 – 16 Uhr, sonntags nach dem Gottesdienst geöffnet
Weitere Infos zur wirklich sehenswerten Fachwerkstadt Wolfenbüttel gibt es hier.
Fans des Morbiden kommen in den Beelitz-Heilstätten in Brandenburg voll auf ihre Kosten.
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Wenn man, wie wir, einmal in Wolfenbüttel gewohnt hat, ist dieser Beitrag besonders Interessant..Bestimmt werden wir eine Führung durch die Gruft auch gelegentlich machen.
Danke, Anke!