Mit dem Nachtzug durch Europa zu reisen wird immer beliebter. Marie-Luise und Anke haben unterschiedliche Liegewagen ausprobiert. Impressionen vom Weg nach Italien und Schweden.
Mit dem Auto fahren oder fliegen? Wer so nicht reisen will, dem bieten Nachtzüge zwischen verschiedenen europäischen Städten (inzwischen wieder) eine Alternative. Neben der österreichischen Bahn ÖBB, die schon einige Strecken bedient, will auch die SBB der Schweiz ab dem nächsten Jahr neue Verbindungen einrichten. Wir haben diese nachhaltige Art des Reisens ausprobiert, im Liegewagen auf der Strecke von Hamburg nach Basel und von Malmö nach Hamburg.
Marie-Luise: Im Bahnhof von Florenz muss ich zwei Mal hingucken, denn für deutsche Bahnreisende ist das eine Sensation: Auf der gesamten Anzeigetafel wird kein einziger Zug als verspätet angezeigt, keiner fällt aus. Dabei gilt Italien doch als weitaus chaotischer als das durchorganisierte Deutschland, in das ich wehmütig zurückfahre. Aber nicht nur aus diesem Grund.
Ganz anders in Hamburg bei der Abreise in den Süden. Mit gut einer Stunde Verspätung startet der Nightjet der ÖBB Richtung Süden. Statt um 22 Uhr können wir erst gegen 23 Uhr unsere Schlafabteile betreten – der Zug wurde zu spät bereit gestellt.Entsprechend schnell sind wir uns einig: Es wird nicht gequatscht, wir sind schließlich zum Schlafen hierher gekommen. Dabei sind meine Mitreisenden sehr nett. Zwei Schweizer und eine junge Studentin aus Dänemark teilen mit mir das Abteil. Ein reines Frauenabteil war nicht mehr frei, als ich gebucht habe.
Anke: Bei mir geht es in Malmö los (der Zug wird allerdings schon in Stockholm eingesetzt) und ich habe dank Pressereise den Luxus, das 6-er Liegeabteil nur mit einer Kollegin zu teilen. Um 22.10 soll es losgehen, für 5.31 steht für mich die Ankunft in Hamburg im Fahrplan. Der Zug fährt dann noch weiter bis Berlin. Um 21.30 betreten wir den Bahnsteig des Malmöer Kopfbahnhofs – und werden wie alle anderen Fahrgäste auch direkt von einer Mitarbeiterin des Snälltågets abgefangen. Sie hat eine Liste in der Hand und streicht unsere Namen ab, nachdem wir unsere Tickets gezeigt haben. Ein bisschen aus der Zeit gefallen, aber irgendwie sehr charmant. Nachdem wir so eingecheckt haben, dürfen wir weiter durchgehen. Eine junge Frau putzt sich weiter hinten auf dem Bahnsteig die Zähne.
Marie-Luise: Wir scherzen, reichen die Taschen hin und her, bis alles gut verstaut ist und richten unsere Betten ein. Nach und nach verschwinden wir ins „Bad“ – eine kleine Zelle mit Waschbecken zum Zähneputzen. Der Liegewagenschaffner schaut vorbei, prüft die Karten. Er kündigt an, dass er um 7 Uhr das Frühstück bringt und fragt, ob Kaffee oder Tee gewünscht sind. Dann ist Ruhe.
Ich habe die Liege ganz oben gebucht und war mir bei der Abreise nicht sicher, ob es eine gute Idee war. Mitte Juni ist es doch ganz schön heiß und bekanntermaßen staut sich die Hitze immer oben. Aber: Die Klimaanlage funktioniert gut. Es ist die gesamte Nacht über angenehm kühl. Ich fühle mich sicher, denn das Abteil können wir von innen verschließen.
Anke: Kurz nach 22 Uhr rollt der Snälltåget (übersetzt „der nette Zug“) ein. Betreiber ist ein privates Unternehmen, ähnlich wie hierzulande der Flixtrain. Der Zug ist von außen frisch lackiert, scheint aber schon ein paar Jahre (oder eher Jahrzehnte) auf dem Buckel zu haben. Als wir einsteigen, kommen Erinnerungen an alte D-Züge hoch. Außerdem liegt schwach ein anderer Geruch in der Luft, woran erinnert der mich nur? Genau, so roch früher die DDR. Möglicherweise ist unser Zug also ein alter Ost-D-Zug.
Wir richten uns ein in unserem „privaten“ 6-er Liegewagen. Die oberen Betten lassen wir vorerst hochgeklappt und verstauen unser Gepäck, so gut es geht, auf dem Fußboden unter den Liegen. Laken, Bettwäsche und Bettdecken liegen auf einer Ablage bereit. Man muss die Decken selbst beziehen und morgens auch wieder abziehen. Weil es warm und stickig ist (und weil die eine Bettdecke gelbliche Flecken hat), entscheide ich mich dafür, nur das Laken auf meine Liege mit Stoffbezug zu legen. Als Kopfkissen dient ein Pulli. Vielleicht lässt sich das Fenster öffnen? Früher ging das in D-Zügen doch. Nein, es ist zugeschraubt. Hoffentlich nimmt die Lüftung gleich zusammen mit dem Zug Fahrt auf. Auf dem Tischchen steht Trinkwasser im Tetrapack für uns.
Marie-Luise: Um 8 Uhr sollen wir in Freiburg sein. Ob das trotz der Verspätung klappt? Immerhin wartet die Schweizer Bundesbahn seit einiger Zeit nicht mehr auf verspätete Züge aus Deutschland. Sie werden an der Grenze gestoppt. Egal. Ich kann es ohnehin nicht ändern und bin müde. Entspannt lasse ich mich in den Schlaf schuckeln. Mein letzter Gedanke vorm Einschlafen: „Das muss früher im Kinderwagen ganz ähnlich gewesen sein.“ Es rumpelt hin und wieder, ich spüre Kurvenfahrten und das Bremsen.
Anke: Pünktlich um zehn Minuten nach Zehn setzt sich der Zug in Bewegung. Schon bald rollen wir über die Öresundbrücke, danach geht es weiter über die dänischen Inseln Seeland und Fünen bis nach Jütland. Auf dem Gang laufen die anderen Reisenden zum Teil in Boxershorts in Richtung Zugtür. Dort gibt es eine Toilette, die auch die ganze Nacht über erstaunlich sauber bleibt. Am Gang ist eine weitere Tür, dahinter verbirgt sich ein winziges Waschbecken. Auf dem Gang stehend putze ich Zähne. Es ist total okay, aber ich verstehe, warum man das auch gut schon am Bahnsteig erledigt haben kann.
Marie-Luise: Bald darauf liegen wir. Auf der einen Seite des Abteils haben wir die oberen zwei Liegen weggeklappt gelassen, auf der anderen dient die mittlere Liege nun als Ablage für alles, an das man während der Fahrt vielleicht dran muss. Wie bitte organisiert man sich in so wenig Platz mit sechs Leuten inklusive Gepäck? Wie kommt man geschmeidig auf die mittlere und obere Liege? Und bei Bedarf nachts auch wieder runter? Fällt man von der nicht runter, spätestens bei einer Vollbremsung…?
Die Waggons sind alt. Die ÖBB hat sie der Deutschen Bahn abgekauft, die seit Ende 2016 keine Schlafwagenfahrten mehr anbietet. Damals argumentierte sie, dass es sich nicht rentiere. Seitdem kann man mit der DB nachts nur sitzend fahren. Keine kluge Idee, das Geschäft mit dem Reiseschlaf anbzugeben: Die ÖBB macht ihren Job so gut, dass auf deutschen Strecken wenige Jahre später das Schlafwagenangebot aufgestockt wurde. Und der Waggon nebenan zum Beispiel ist neu.
Anke: Der Zug fährt mal schneller, mal langsamer durch Dänemark. Das Geruckel ist gemütlich. Manchmal stehen wir und warten auf Gegenverkehr. Leider ist es immer noch sehr warm im Abteil und aus dem Lüftungsschlitz kommt auch nur warme Luft. Ich liege ohne Bettdecke in Kleidung auf meiner Liege und schiebe irgendwann die Tür zum Gang auf. So kommt zumindest ein wenig kühlere Luft herein. Die Kollegin ist inzwischen eingeschlummert. Ich döse vor mich hin, stehe zweimal auf dem Gang (da ist es kühler). Ab und zu schleicht jemand zur Toilette. Jugendherbergsfeeling. Dann riecht es plötzlich nach Gülle: Offenbar sind wir gerade mitten in Dänemark mit seinen Schweinemastanlagen. Schnell Google maps checken. Stimmt.
Marie-Luise: Um 6 Uhr werde ich wach und fühle mich ausgeruht. Ich greife nach Zahnbürste und Wasserflasche (das Wasser im Hahn ist kein Trinkwasser) und gehe die Badkabine. Schnell alles erledigen, bis der große Ansturm kommt.
Langsam kommt Leben in den Zug. Meine Mitschläfer:innen machen die Augen auf. Das Frühstück lässt indes auf sich warten. Der Schaffner stellt es immerhin gegen halb acht auf die inzwischen freie Liege. Damit alle gut sitzen können, bedarf es ein wenig Organisation: Wir räumen die Betten leer und klappen die mittleren Liegen hoch. Wie gut, dass wir nicht zu sechst sind, wie eigentlich vorgesehen. Die 20 Euro extra für ein Abteil mit vier Schlafreisenden sind eine Investition in die eigene Entspannung. Für Menschen mit Unverträglichkeiten ist das Frühstück allerdings nichts: Es gibt keine Alternativen zu Weizenmehlbrötchen und Kaffeesahne.
Anke: Frühstück gibt es für mich nicht. Wer bis Berlin fährt, konnte es vorbestellen, doch ich steige ja schon in Hamburg aus. Und es ist auch wirklich noch sehr früh. Abends wurde durchgesagt, man solle sich seinen Wecker bitte selbst stellen. Und tatsächlich – ganz ohne Durchsage rollen wir pünktlich um halb 6 in den Hamburger Hauptbahnhof. Mit mir steigt nur eine Handvoll anderer müder Gestalten aus, meine Kollegin fährt bis Berlin weiter und kann noch zwei Stunden weiterschlummern. So leer habe ich den Bahnhof in Hamburg noch nie erlebt. Es fühlt sich alles etwas surreal an. Bis mein Anschlusszug fährt, beobachte ich Tauben und ziehe ein Fazit: Auch wenn ich nur gedöst habe, ist diese Art des Reisens angenehm. Ich kann mir gut vorstellen, dass ich nicht das letzte Mal im Liegen durch Europa gerollt bin.
Marie-Luise: In Basel zeigt sich das Wunder: Der Zug ist trotz anfänglicher Verspätung pünktlich, die weiteren Anschlüsse nach Florenz fügen sich entspannt in einander.
Das Gleiche gilt für die Rückfahrt. In Italien und der Schweiz sind pünktliche Verbindungen Standard. Einzig zwei der Mitreisenden im Viererabteil sind – sagen wir, speziell. An allem haben sie etwas herumzumeckern. Bis ich feststelle, dass es ihre erste Fahrt im Liegewagen ist. Ab da schalte ich von „helfen“ in „helfen und erklären“ um und wir haben eine entspannte Fahrt bis Hamburg. Und bei einem Punkt schimpfen wir alle: Die Klimaanlage funktioniert nicht durchgehend, in den oberen Liegen ist es richtig heiß. Zum Glück haben wir ein Sechserabteil für vier Personen gebucht und können auf die unteren Liegen ausweichen. So empfangen wir entspannt neugierigen Besuch: Eine junge Familie möchte einen Blick ins Schlafabteil werfen inklusive Erläuterung, „wie es denn so ist“. Ich glaube, wir haben neue Schlafwagen-Reisende gewonnen. Und ich selbst werde es das nächste Mal wieder tun.
GUT ZU WISSEN
Der Nightjet des ÖBB verkehrt an allen Wochentagen zwischen verschiedenen Großstädten Europas. Vor allem für Reisen am Wochenende und zu Ferienzeiten muss man sehr frühzeitig buchen, um einen Platz zu bekommen. Für die Reise gibt es unterschiedliche Kategorien. Es gibt Schlafwagen und Liegewagen, auch im Sitzen ist das Reisen über Nacht möglich. Zudem gibt es die Möglichkeit eine Kabine für Frauen zu buchen, und auch für behinderte Menschen gibt es ein besonderes Angebot. Das eigene Fahrrad, Motorrad oder Auto kann ebenfalls mitgenommen werden. Entsprechend kalkuliert sich der Preis.
www.nightjet.com
Snälltåget ist eine schwedische Eisenbahngesellschaft mit Fernverkehrszügen zwischen Österreich, Deutschland, Dänemark und Schweden. Der Nachtzug, den ich genommen habe, verkehrt an mehreren Wochentagen von Stockholm über Malmö nach Berlin mit Zwischenhalt in Hamburg. Es gibt Sitzplätze im Großraumabteil oder Liegeplätze im 6-er Abteil. Wer mehr Privatsphäre möchte, kann auch ein ganzes Abteil reservieren oder z.B. nur zweit oder zu viert teilen: Liege im 6-er Abteil ab 40 €, ganzes Abteil rund 400 € (Preise variieren je nach Reisetag und ob das Ticket umbuchbar oder erstattbar ist). Das Frühstück muss vorbestellt werden und kostet rund zehn Euro (auch vegan).
www.snalltaget.se
(C) Fotos: Marie-Luise Braun (4), Anke Benstem (1)
Mehr Zug-Geschichten haben wir hier: Interrail-Erfahrungen in Im Zug durch Europa und ein Bericht, wie es sich im Schlafwagen reist in Mit dem Nachtzug nach Italien.