Als ob es die kostbarsten Edelsteine wären, so vorsichtig nimmt Olivier die kleinen und großen Champignons langsam aus der Erde und bricht ganz vorsichtig die Stengel ab. In aller Seelenruhe mit einem sanften Lächeln auf den Lippen. Ich verstehe die Leidenschaft des Pilzzüchters, einer der letzten Champignon-Züchter in der Normandie. Im Herzen der Terre d’Auge, in der Calvados-Region, liegt in dem Städtchen Orbec versteckt hinter kleinen Gärten ein alter Steinbruch mit viel Geschichte: Hier gedeihen weiß-graue Champignons de Paris, die Kunstwerke von Austernpilzen und japanische Shiitaké im feucht-warmen Dunkeln auf rund 9000 Quadratmetern unter der Erde. Ich besuche Olivier Perrel, um die wahre Kunst der normannischen Champignonzucht näher kennen zu lernen.
Austernpilze – wahre Kunstwerke der Pilzzucht
Die graziösesten unter den Pilzen sind eindeutig die riesigen verschachtelten Austernpilze. So traumhaft schön! „Sie benötigen mindestens zwölf Stunden Dunkelheit“, erklärt mir der 58jährige Franzose, während er das riesige Exemplar in die Höhe hält. Sie wachsen aus den Löchern eines mit Plastik umwickelten Blocks heraus. „In dem Block ist klein geschreddertes Stroh und Pferdemist, das angefeuchtet und erhitzt wird. Danach wird er mit der Pilzbrut geimpft“, erläutert Olivier Perrel. Schon nach drei Tagen sprießen die ersten Pilze aus den Löchern. IMG_7296
Feucht wie im Dschungel – so lieben es Pilze
Je wärmer es im Steinbruch ist, umso schneller geht es. Und „um so schwammiger und besser ist der Geschmack“, weiß der Experte. In der Grube unter der Erde ist es rund 16 Grad, aber es herrschen satte 99 Prozent Luftfeuchtigkeit. Optimal für die weißen Schönlinge.
Der letze aktive Steinbruch im Calvados
Für Olivier aus Le Havre ist ein Lebenswunsch in Erfüllung gegangen: Ein Vierteljahrhundert hat er große Supermärkte geleitet, doch er wollte seinem Leben einen „neuen Sinn“ geben, erzählt er mir. Agrarwirtschaft war schon sein Thema. Aber über eine „so außergewöhnliche Arbeitsstätte“ sei er besonders glücklich. Seit zehn Jahren züchten er und seine Ehefrau Stéphanie nun im letzten aktiven Steinbruch im Département Calvados die drei Pilzsorten. In den 1960er Jahren bauten noch rund 1500 Züchter Pilze in der Normandie an, mittlerweile sind dort nur noch 60 übrig geblieben.
Champignons unter Tage schmecken natürlich und saftig

Wie unterscheidet sich denn der Geschmack zu den heutigen industriellen Champignons? Olivier guckt mich mit großen Augen an. „Oui, oui…“ Das sei schon etwas ganz anderes. „Der Geschmack unter Tage ist etwas Besonderes: einfach natürlich. Eine andere Umgebung, ein über Jahrhunderte gebildeter Boden, keine Dünger, keine Pestizide.“ Im Jahre 1931 wurde der Steinbruch in Orbec für die Pilzzucht umfunktioniert, vorher wurde mit dem Gestein aus der Grube Kirchen und andere Gebäude in der Region gebaut. Die Perrels sind bereits die fünfte Familie, die die Wärme und Luftfeuchtigkeit der alten Berge auf andere Art nutzen.
Napoleon brachte Pferde in die Steinbrüche
Doch den für die Zucht so wichtigen Pferdemist brachte bereits Anfang des 19. Jahrhunderts Kriegsherr Napoleon Bonaparte in die Steinbrüche Frankreichs. Er brauchte Männer und Pferde, um Europa zu erobern. So benutzte er die Steinbrüche als Pferdeställe. „Und aus dem Pferdemist sprießten die Pilze“, erzählt Olivier. Agronomen arbeiteten mit dem Mist. So kam die Pilzzucht unter Tage.
Tische voller Champignons
So zeigt mir nun der lustige Agronom mit der Stirnlampe auf dem Kopf (es soll ja möglichst dunkel sein für die Fungi) stolz seine Pilzlandschaft. Wir wandern zu Tischen voller Torf/Mist-Mischungen, obendrauf Torf aus Schottland, von weißem Schimmel der Pilze überzogen.
Alle fünf Tage verdoppeln sie ihre Größe
Zwischendrin immer wieder große und kleine Champignonköpfe. „Alle fünf Tage verdoppeln sie ihre Größe“, weiß Olivier und lässt sich gern mit den riesigen Prachtexemplaren fotografieren. Täglich geht er morgens früh um fünf in seinen Steinbruch, um die Tische zu säubern, („Bakterien sind nicht gut für sie!“) die Pilze mit der Hand zu ernten. So auch heute Morgen. Er nimmt einen Champignon ab, bricht den Stengel ab und lässt mich probieren. Hmmm – wie lecker frisch und knackig der frisch geerntete Champignon schmeckt! Kein Vergleich mit denen, die ihr in Supermärkten findet. Die Ernte ist erstaunlich: Pro Woche erntet Olivier mit seinen zwei Mitarbeitern an die 1,2-1,5 Tonnen Pilze.

Steinbruch als Notunterkunft im Jahr 1944
Im Jahre 1944 musste damals die Produktion unter Tage stoppen. Der Steinbruch wurde zur Notunterkunft des französischen Roten Kreuzes für die Bürger von Orbec. Die Alliierten waren da. Während der Bombardierungen kamen rund 2217 Menschen in die Höhle, nutzten sie als Schlafstätte, Küche, Arztstation, Kapelle. Auch die Kinder wurden hier im Kindergarten betreut. Im August 1944 kam die Rettung: die Kanadier in diesem Falle.

Tour mit Olivier Perrel
Wer Lust hat, mehr über die außergewöhnliche Champignon-Zucht La Champignonnière in der Normandie zu erfahren, sollte Olivier und Stéphanie Perrel besuchen. Sie verkaufen ihre Delikatessen übrigens nur in der Normandie, etwa auf Wochenmärkten in Lisieux (Samstags, Markt ist super Tipp: sehr lokal, kaum Touris, toller Käse, tolle Meeresfrüchte, super Gemüse! ) oder Rouen (Sonntags). Oder Freitags von 14 bis 16 Uhr direkt vor dem Steinbruch, Chemin de la cote blanche, La Vespière-Friardel. Pilz-Saison ist übrigens Oktober bis Juni. Kontakt: Tel. +33 0640310462, email: lechampignondorbec@gmail.com.
Übernachten
Ein nettes, kleines Hotel mit leckerem Frühstück, Massage und Pool ist das Hotel Spa le Lion d’Or in Pont-l’Éveque (nur 15 km von den Stränden Deauvilles), und hervorragendes Foie Gras, Cidre und frischen Fisch bekommt ihr im La Clé de Sole an der rue Saint-Michel 36, nur zehn Minuten Fußweg vom Hotel entfernt.

Bei der Pressereise in die Normandie unterstützte mich netterweise l’Agentour und Normandy Tourism. Wer noch mehr bei uns zu Frankreich lesen möchte, der sollte die Geschichte zum Austernzüchter in der Bretagne , die zur Spitzenküche in der gleichen Region oder eine der Bordeaux-Stories aufrufen.

