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Äthiopien: Überleben am Omo

Äthiopien, Urvölker

Ihr Rücken über dem mit Perlen verzierten Lendenschutz aus Ziegenfell ist übersät mit blutigen Striemen. Doch die junge Frau ist fröhlich: Aiyana trötet, singt und scheppert mit ihren Armreifen aus Metall. An den Knöcheln hängen Schellen, sie stampft kräftig auf den roten Lehmboden. Staub wirbelt auf. Aus den Maisfeldern ringsum kommen singende und schellenklappernde Verwandte angerannt. Sie trinken vergorenen Hirsebrei aus alten Tomatendosen. Ihre Haare leuchten rötlich-ocker: Sie sind mit einer Paste aus Butter und roter Tonerde eingerieben – zum Schutz gegen Insekten, Sonne und Staub. Ein unvergesslicher Geruch. Wir sind in der Nähe von Turmi, mitten im unberührten Omo-Delta – weit im Südwesten von Äthiopien.

Äthiopien, Karo-VolkDie Region ist noch kaum erschlossen. Der heiße Süden von Äthiopien gehört den urafrikanischen Stämmen. Hinter dem Mount Buska leben die Urvölker: die Hamar, Karo, Bume, Erbore. Ihre alten Traditionen, Riten und Tänze blieben lange verborgen. Doch mittlerweile stoßen die ersten Bildungstouristen in diese unbekannte Welt vor, der Tourismus kommt. Es ist eine Tour für wahre Abenteurer, heiß, staubig und anstrengend – aber einfach unvergesslich.

Eher Pisten, keine Straßen. Ohne guten Fahrer und einen robusten Geländewagen ist man hier aufgeschmissen: Durchgeschüttelt finden wir unseren Weg zwischen Felsbrocken und meist vertrockneten Flussläufen. Ein von Dürren geplagtes Land – Äthiopien. Doch die trötende Aiyana ist glücklich. Sie und ihre Familie gehören zum Volk der Hamar. Rund 35 000 Halbnomaden.Äthiopien, Karo-Volk

Wir treffen sie in der kargen Savanne, zwischen trockenen Rizinusbüschen und Schatten spendenden Akazien. Ihre Rückennarben sind Teil eines wichtigen Initiationsrituals, „des Bula“, erzählt uns Kole Goyti. Sein Name bedeutet soviel wie „Der, der den Weg gefunden hat“. Der charmante Mann aus dem Dorf Dombua ist ebenfalls Hamar. „Der Bullensprung ist Höhepunkt unseres dreitägigen Hochzeits-Rituals, das wir vor der Regenzeit abhalten.“ Seit Jahrhunderten vollziehen einige der rund zwölf südäthiopischen Stämme diese Übergangstradition. Der Bräutigam durchläuft eine Art symbolischer Zeugung und Geburt, wenn sein Vater ihn für zeugungsfähig hält.Äthiopien, Karo-Volk

Aiyana ist die Freundin eines Trauzeugens, des Mars. Die Trauzeugen – ihre Gesichter sind feierlich geschminkt: rote Punkte auf weißem Lehm – und die Frauen des Clans treffen sich vor dem Bullensprung zum traditionellen Auspeitschen. Sie sind noch jung, fast noch Teenager. Wieder tuten die Frauen in ihre Blechhörner und stampfen kräftig auf. Aiyana tanzt einen Mars an, er ignoriert sie. Sie lacht ihn dafür aus und streckt ihm ihre Brüste entgegen. Er dreht sich weg, sie neckt ihn weiter. Da reicht es ihm, er tippt die Gerte auf den Boden und zieht dann durch, dass es nur so schnalzt. Über Aiyanas Rücken läuft wieder Blut, doch sie lacht. „Je wulstiger die Narben, desto schöner werden sie empfunden“, erklärt uns Kole. Für die Unverheirateten der Hamar ist es die höchste Ehre, ausgepeitscht zu werden. Wir staunen. Harte, taffe Frauen.Äthiopien, Karo-Volk

Wir folgen der Hochzeitsgesellschaft in den Busch, zu ihrem kleinen Dorf, einer Siedlung von einfachen Tumi-Hütten aus Stroh, Blättern und Ästen. Hamar leben vom Hirseanbau und ihrem Vieh. Die Akazien neben dem Dorfplatz wirken im Sonnenuntergang wie schwarze Riesenschirme. Ein paar margere Rinder und Ziegen stehen herum. Alle Mitglieder des Clans sind angereist. Manche haben tage- und nächtelange Märsche hinter sich. Viele barfuß. Doch es wird gesungen, getanzt, die Männer sind berauscht. Von Maisbier aus einem Kalebassen-Krug und Kath – einer aufputschenden Alltagsdroge.Äthiopien, Karo-Volk

Dann geht es los: Ein hölzerner Phallus wird mit saurer Sahne begossen, das Symbol für den Zeugungsakt. Die Mars bringen dreizehn Rinder dazu, nebeneinander zu stehen. Der nackte Bräutigam läuft an, steigt über ein Kalb hinauf und rennt über die Rücken der Bullen: ein-, zwei, viermal schafft er es hin und her, ohne herunterzufallen. Wäre er gestürzt, hätte er das Stigma des Versagers – jetzt aber ist er ein wahrer Mann und Stammeskrieger. Und sein Vater sucht eine passende Frau für ihn aus. „Noch immer wählen viele sehr junge Frauen aus“, sagt der 52-jährige Kole. Äthiopien, Jungen, Karo-Volk, UrvölkerManche seien gerade mal zehn und würden erst gar nicht zur Schule geschickt. Zu jung findet auch Kole, dessen Frau schon über 30 ist. „Die Regierung versucht, die Menschen hier aufzuklären, doch es braucht viel Zeit für Veränderungen.“ Die Väter würden rund 15 Ziegen und eine Menge Honig für die Verheiratung ihrer Töchter bekommen – das sichere oft das Überleben der Familie, die meist zwölfköpfig ist.

Äthiopien, UrvölkerUnsere Tour geht weiter durch die Savanne, vorbei an unendlichen Weiten mit dornigen Büschen und graziösen Feigenbäumen. In dem 500-Seelen-Dorf Korech lebt der Stamm der Karo auf einem hohen Plateau direkt über dem Fluss Omo. Hier scheint das Land fruchtbarer zu sein. Regenwälder dehnen sich am Ufer aus. „Doch im Winter, wenn Dürre herrscht und der Fluss zu niedrig steht, müssen wir beim Staat extra Gerste und Ziegenfleisch ankaufen“, sagt Terbi in gebrochenem Englisch, Urlauber haben es ihm beigebracht. „Sonst reicht es nicht zum Überleben.“

Äthiopien, Urvölker Sein Gesicht und Oberkörper sind kunstvoll mit weißer Kreide bemalt, auf dem Hinterkopf trägt er zwei getrocknete Maiskolben, die an bunten Plastikperlen-Ketten befestigt sind – ein ungewöhnlicher Kopfschmuck. Um den Hals liegen Ketten aus Kaurimuscheln und Ziegenfell-Fetzen. Tätowierte Schmucknarben zeugen von erfolgreichen Kämpfen. Der 18-Jährige geht halbjährig in Arba Minch – fast 400 Kilometer Schotterpiste entfernt – zur Schule. In T-Shirt und Jeans. Doch jeden Winter kommt er zurück in seine Heimat und zeigt Gästen stolz, wie sein Volk lebt.

Äthiopien, Hütte, Die Grashütten sowie Bienenkorb ähnliche Vorratsspeicher mit Strohdächern stehen auf hohen Stelzen. Äthiopien, Karo-Volk„Damit Ziegen und Hunde nicht an unsere Ernte kommen“, sagt Terbi und schmunzelt. In der Hand hält er eine alte Kalaschnikow. Für die Karo ein Symbol ihres Wohlstandes. Ein Gewehr kostet „vier gut aussehende Rinder“, weiß der junge Karo. Kühe sind die Bezugsgröße für fast alles hier. Das ganze Stammesleben dreht sich um ihre Haltung, Vermehrung und Verteidigung.Äthiopien, Karo-Volk „Wenn Rinder von anderen Stämmen geklaut werden, gibt es Konflikte“, sagt der noch ledige Mann und zeigt auf sein Gewehr. „Deshalb schützen wir unser Vieh.“

Äthiopien, Omo, Frauen, Urvölker, Karo-VolkDie Karo sind sprachlich und ethnologisch eng mit dem Volk der Hamar verwandt: Riten und sogar die Fellkleidung sind sehr ähnlich. So dürfen Mitglieder beider Stämme auch untereinander heiraten. Terbi freut sich schon auf seinen Bullensprung und hofft, dass auch er erfolgreich über die Rinder springen und seinen Vater „mit Stolz erfüllen kann“.Äthiopien, Karo-Volk

Hinreisen: Zum Beispiel mit Ethiopian Airlines ab Frankfurt nach Addis Abeba, weiter per Flugzeug nach Arbaminch oder mit dem Mietauto direkt ins Omo-Tal.
Empfehlenswerte Impfungen: Impfungen gegen Hepathitis A, Gelbfieber, Tollwut, Tetanus, Diphtherie.
Veranstalter: Gebeco bietet die 14-tägige Reise „Leben am Omo“ an.
Die Geschichte entstand im Rahmen einer Pressereise mit Tourism Ethiopia. Wer noch eine andere Afrika-Geschichte von uns lesen möchte, hier zu Malawi.

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