Nordsee, Ostsee, Atlantik… Irgendwie ist Meer gerade mein Thema. Gerade habe ich den schönen Bildband „Meeresrauschen“ in den Händen gehabt, zuvor war ich in Berlin beim Jubiläum zur nachhaltigen globalen Fischerei: „Die Zukunft der Meere“.
Meere und Küsten ein Dauerbrenner unter den beliebtesten Reisezielen. Es gibt ja so viele verschiedene, sozusagen für jeden sein Lieblingsmeer: Rund 70 Prozent der Erde ist mit Wasser bedeckt. Die Ozeane machen den größten Teil davon aus. Trotzdem wissen wir noch wenig über diese größtenteils verborgenen Ökosysteme. Vor allem die Tiefsee ist weitgehend unerforscht. Auch bei vielen der eng miteinander verwobenen maritimen Lebenräume und der Rolle, die die Meere beim Klimawandel spielen, betreten Wissenschaftler noch immer Neuland. Wir beginnen gerade erst zu verstehen, wie wichtig und fragil zugleich die maritimen Ökosysteme sind, auch oder gerade weil sie scheinbar so robust und unendlich sind.
Meeresschutz ist wichtiger denn je. Meere sind auch ein wichtiger Wirtschaftsfaktor und ernähren viele Menschen. Deshalb ist es wichtig, die Fischerei kritisch unter die Lupe zu nehmen. Wieviel ist den Meeren zumutbar? Welche Fangmethoden schonen Bestände und Ökosysteme, sind also nachhaltig, welche schaden ihnen?
20 Jahre nachhaltige Fischerei
Kennt ihr das MSC-Siegel? Ist es ein Kaufkriterium für euch? Es findet sich auf Verpackungen von tiefgekühltem Seefisch, an Frischfischtheken und auf Fischkonserven. Ein weißer Fisch mit stilisiertem Okay-Haken als Rücken vor blauem Grund – aber was bedeutet es eigentlich? Obwohl ich, wenn, dann Fisch mit dem Siegel kaufe, konnte ich bis vor kurzem nicht so genau sagen, was konkret Inhalt und Ziel des Zertifikats ist. Oder wer dahinter steckt. Wurde also Zeit, sich mal ein bisschen genauer mit dem Thema Meer und Fischerei zu beschäftigen. Und so bin ich Anfang November der Einladung zum 20-jährigen Jubiläum des Marine Stewardship Council (MSC) „Die Zukunft der Meere“ gefolgt.
Geschichte einer ungewöhnlichen Kooperation
Die Geschichte hinter dem Siegel: Als der MSC vor 20 Jahren gegründet wurde, waren die Weltmeere völlig überfischt. In Kanada verloren zum Beispiel tausende Fischer und Fabrikarbeiter ihre Jobs, weil es schlicht keinen Kabeljau mehr zu fangen gab. Die Weltmeere und ihre Fischbestände waren offenbar doch nicht so unendlich, wie man bis dato gedacht hatte. Dennoch machte die Politik keine Anstalten, sich des Themas ersthaft anzunehmen. Der Nahrungsmittel- und Verbrauchsgüter-Konzern Unilever und die Stiftung WWF (damals World Wildlife Found, heute umbenannt in World Wide Found for Nature) setzten sich damals zusammen und gründeten den MSC als internationale, unabhängige und gemeinnützige Organisation mit Sitz in Großbritannien. Ein Umweltverband und ein Weltkonzern an einem Tisch mit im Prinzip dem gleichen Ziel? Das war neu und eigentlich, wie Schlesig-Holsteins Umweltminister Robert Habeck es in Berlin auf den Punkt brachte, „ein Armutszeugnis für die Politik“: Weil die versagte, musste das Problem über die Verbraucherseite gelöst werden.
International gültiger Umweltstandard für nachhaltige Fischerei
Das Ziel der beiden Partner: einen international gültigen Umweltstandard für nachhaltige Fischerei zu etablieren. Der WWF hatte vorrangig den grundsätzlichen Schutz der Meere mit ihren Ökosystemen im Blick, Unilever (heute nimmt Iglo als Nachfolger die Rolle von Unilever ein) die Fischgründe, deren stabiles Vorhandensein Grundlage der Nahrungsmittelproduktion war und ist. Der MSC-Standard fußt auf wissenschaftlichen Erkenntnissen (etwa aus Erhebungen von Instituten wie dem Braunschweiger Johann Heinrich von Thünen-Institut mit seinem Institut für Ostseefischerei) und dient dazu, den langfristigen Erhalt von Fischbeständen im Meer zu sichern. Zumindest stagniere die Überfischung der kommerziell genutzten Fischbestände derzeit bei 89 Prozent und der weitere Abwärtstrend scheine gestoppt, berichtete in Berlin Christopher Zimmermann, der Leiter des Thünen-Institus für Ostsee-Fischerei. Darf man das schon als positive Nachricht werten? Gerade noch elf Prozent sind also einigermaßen intakt, heißt das im Umkehrschluss. Wahrlich kein Anlass zur riesiger Freude. Es gibt noch viel zu tun. Arbeit und Herausforderungen sieht MSC-Chef Rupert Howes zukünftig vor allem in Asien und Südeuropa. Und Umweltminister Habeck wünscht sich, dass der Meeresschutz allgemeiner angegangen wird als nur über die Fischbestände. Soziale Aspekte der Fischerei könnten in seinen Augen eine Erweiterung des Siegels sein. So würden etwa die kleinen Fischer mit ihren Betrieben nicht hinten runter fallen.
Reicht das Siegel aus?
Wer bekommt das MSC-Siegel überhaupt? Grundsätzlich kann jede legale Fangmethode zertifiziert werden. Bevor eine Fischerei das Siegel bekommt, muss sie eine umfassende Zertifizierung durchlaufen. Der MSC-Umweltstandard betrachtet drei Kriterien: Gibt es ausreichend große Fischbestände, sind die Einflüsse auf das Ökosystem minimal oder zumindest akzeptabel und gibt es ein wirkungsvolles Fischereimanagement? Zertifizierte Fischereien werden jedes Jahr erneut kontrolliert. Greenpeace und andere Umweltorganisationen haben den MSC-Standard immer wieder als zu wenig streng kritisiert, etwa hinsichtlich von erlaubten Fangmethoden wie Grundschleppnetzen (mit in ihren Augen zu hohen Beifangquoten und weil sie den Meeresboden aufwühlen können). Angemahnt wird von Kritikern auch, dass das Siegel schon recht früh im Prozess vergeben wird. Ein weiterer Kritikpunkt: Kleinere Fischereien könnten sich den Zertifizierungsprozess oft nicht leisten, hätten ohne Siegel Wettbewerbsnachteile. Sicher berechtigte Punkte. Was also tun? Letztlich ist es in meinen Augen auf jeden Fall wichtig und richtig, möglichst flächendeckend gute Standards zu haben und nicht nur punktuell supergute. Das rettet die Weltmeere nicht. Dabei immer kritisch bleiben und dort nachzubessern, wo sich Defizite zeigen.
Zwölf Prozent sind ein Anfang
Zurück zu den Fakten: Heute sind zwölf Prozent des weltweiten Fangs an Fisch und Meeresfrüchten MSC-zertifiziert. Weitere zwei Prozent stammen aus Fischereien, die sich derzeit im Zertifizierungsprozess befinden. Das ist noch nicht wirklich viel. Bis zum Jahr 2020 hat sich die Organisation vorgenommen, die Quote auf runde 20 Prozent zu steigern. Bis 2030 soll ein Drittel der weltweiten Fangmenge aus zertifiziertem Fang stammen. Und auch das ist eigentlich noch viel zu wenig, dann wird zu mehr als zwei Dritteln weiterhin ohne Regeln und Blick auf Nachhaltigkeit gefischt. Es steht aber tatsächlich zumindest mit in der Macht der Verbraucher, bewusster zu konsumieren und damit die Lage der Weltmeere zu verbessern. Trotzdem wird das MSC-Siegel allein die Ozeane nicht retten können. Wie vor 20 Jahren ist die Politik gefragt, die Weichen für den globalen Meeresschutz zu stellen – und zwar international und gemeinsam.
Vorreiter für andere Bereiche?
Spannend finde ich den Prozess, wie es zum Siegel kam, aus einem weiteren Grund: Offenbar ist es möglich, dass zwei oder mehrere Partner mit per se erstmal unterschiedlichen Antritten das gleiche Ziel verfolgen. Weil es den Zielen beider nützt. Ein Nahrungsmittelkonzern, dem die natürlichen Nahrungsmittel ausgehen, kann schließlich nicht fortbestehen. Vielleicht werden sich zukünftig die Ziele von Wirtschaft und Naturschutz viel öfter überlappen (müssen), weil es ohne einigermaßen intakte Natur einfach nicht geht? Beim FSC-Siegel für nachhaltige Waldwirtschaft hat es ja auch auf globaler Ebene geklappt. Vielleicht werden sich weitere Allianzen bilden? Es wäre so wünschenswert.
An der Jubiläumsveranstaltung in Berlin habe ich auf Einladung des MSC teilgenommen. Daraus resultierte keine Verpflichtung zur Berichterstattung. Der Beitrag wurde nicht honoriert.