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Reisen im Schlaf: Mit dem Nachtzug nach Italien

Weniger fliegen, mehr Bahn fahren: In Schweden gibt es dank flygskam (Flugscham) bei Reisen in Nachtzügen große Zuwächse. Hier in Mitteleuropa ist der Trend noch nicht wirklich angekommen. Was sind die Vor- und Nachteile am nächtlichen Zugfahren? Wie buche ich das überhaupt? Soll es eine Übernachtung im Schlaf- oder Liegewagen sein? Ich habe auf meiner Reise nach Norditalien beides ausprobiert und gebe hier Tipps: Von B wie Buchung bis Z wie Zeit vertreiben.

Wer im Nachtzug nach Italien fahren will, kann die Buchung nicht mehr zentral  über das Portal der deutschen Bahn erledigen. (Die Österreicher haben ja vor einiger Zeit dieses Angebot der Deutschen Bahn übernommen.) Am besten geht Ihr also ZUERST auf die Seite der ÖBB, um Euer Ticket für den Nightjet zu buchen.

Diese Reihenfolge ist sinnvoll, damit Ihr wisst, wann es überhaupt Verbindungen gibt und ob Ihr noch Platz für die gewünschte Reiseart (z.B. im Schlafwagen) bekommt. Nach der Abreisezeit richtet sich dann das Buchen des Zuges nach München. Plant lieber einen längeren Aufenthalt ein, als dass Ihr aufgrund einer Verspätung den Nachtzug verpasst. Ich persönlich war schon zwei Stunden vorher da und habe mir die Zeit am Bahnhof vertrieben, aber hier komme ich auch schon zum ersten Negativpunkt:

Bahnhof bei Nacht

Meine Abfahrtszeit in München war 23.20 Uhr. Wenn man als Frau um diese Uhrzeit allein an einem normalen Wochentag am Münchner Hauptbahnhof zwei Stunden totschlagen muss, ist das leider sehr ungemütlich. Die DB Lounge ist geschlossen. Und auch sonst fehlen Möglichkeiten, sich irgendwo in geschütztem Raum hinsetzen zu können. Um diese Uhrzeit laufen für meinen Geschmack zu viele Gestalten herum, bei denen mein innerer Alarm anschlägt. Nennt mich übervorsichtig, aber in vielen Jahren Reiseerfahrung habe ich gelernt, auf meinen Instinkt zu hören. Es blieb also nur eine Fastfoodkette, die die ganze Nacht geöffnet hat, um mich in Ruhe hinsetzen zu können.

Kleine Schrecksekunde

Dann war es irgendwann Zeit, zum Bahngleis zu marschieren. Am Bahnsteig 12 kam noch eine Überraschung:

Zielbahnhöfe in Österreich, Kroatien und Ungarn, aber keine Spur von Italien, geschweige denn Venedig! Ich rannte also schnell zur Fahrgastinfo fragte nach, wo denn der Nachtzug nach Italien abfährt. „Da sind Sie schon richtig, Sie müssen nur nach Ihrer Wagennummern schauen und einsteigen.“ Das nur als Hinweis, falls es Euch ähnlich geht und Ihr glaubt, am falschen Bahnsteig zu sein.

Endlich wohlfühlen

Meine Wagennummer habe ich sehr schnell entdeckt, mein Abteil auch. Das Bett war frisch gemacht, und es warteten schon eine Flasche Wasser für die Nacht, ein Fruchtquetschi, eine kleine Tüte Mini-Brezeln, ein Paar Ohrenstöpsel und eine Frühstückskarte nebst Kugelschreiber.

Und dann kam auch schon der Steward im adretten Nightjet-Outfit. Mit „Madame“ sprach er mich an. Ich weiß nicht, wann mich das letzte Mal jemand so genannt hat. Aber nach der Gestalten am Hauptbahnhof ist so eine respektvolle Ansprache einfach sehr angenehm. Der Steward erklärte so nützliche Dinge, wie man die Tür aufmacht, wenn man nachts Toilette muss und wieder schließt, wo Steckdosen sind und wie man den Waschschrank öffnet. Ich solle mich jederzeit melden, wenn ich Fragen habe, er stehe die ganze Nacht den Gästen zur Verfügung. Außerdem übergibt er noch eine Flasche Prosecco mit Gläschen, die im Preis „inkludiert“ ist (österreichisch halt 🙂 ). Und er warnt mich vor, dass irgendwann in Salzburg umrangiert wird. Das könne ein wenig laut werden. Ich solle mich dann einfach umdrehen und weiterschlafen. Davon habe ich allerdings nichts mitbekommen, wahrscheinlich der Prosecco-Effekt? 😉

Falls Ihr es noch nicht getan habt, füllt Ihr jetzt noch schnell mit dem Kugelschreiber Eure Frühstückswünsche für den nächsten Morgen aus und übergebt sie dem Steward. Auch das ist übrigens im Ticket „inkludiert“:

Tipp: Vor dem Einschlafen die Lautstärke- und Temperatur-Regler über der Tür herunterdrehen, wenn Ihr nicht bei Hitze schlafen oder in voller Lautstärke morgens von der Bahnhofdurchsage in Italien aus dem Schlaf gerissen werden wollt.

Und dann könnt Ihr Euch gemütlich in den Schlaf ruckeln lassen. Ich habe immer geglaubt, ich würde beim Quietschen und Geruckel der Bahn kein Auge zukriegen. Das Gegenteil war der Fall: Solange sich der Zug bewegte, habe ich geschlummert wie ein Baby. Aber wenn er plötzlich still stand und Totenstille eintrat, bin ich kurz aus dem Schlaf aufgeschreckt – und dann wieder weggedöst.

Nach dem Überfahren der Grenze war es so gegen 6.30 Uhr mit dem Nachtschlaf vorbei, weil sich die Italiener nicht an die angekündigte Ruhezeit (22 bis 8 Uhr) hielten, sondern an jedem Bahnhof die Ansagen über Lautsprecher ertönten (deshalb der obige Tipp, die Lautstärke runterzuregeln).

Das Frühstück bekommt Ihr direkt „aufs Zimmer“ serviert. Und dann geht es ausgeruht direkt in die ersten Urlaubsunternehmungen.

Rückreise im Liegewagen

Vor der Rückfahrt war mir schon ein wenig mulmig zumute: Der Zug relativ voll (deshalb hatte ich auch kein Ticket mehr für den Schlafwagen bekommen). Und während man in letzterem automatisch nach Geschlechtern getrennt untergebracht wird, ist das im Liegewagen nur der Fall, wenn man das ausdrücklich ankreuzt. Hab ich aber vergessen. Als ich durch ein Fenster schmutzige Socken hervorlugen sah, dachte ich nur: Bitte, bitte, lass das nicht mein Abteil sein!

Zum Glück waren meine Mitreisenden ein Ehepaar, eine Backpackerin und ein älterer Herr, alle gepflegt und sehr freundlich, puh. Nach dem Bettenmachen habe ich mich dann in mein Nachtquartier in die obere Etage gelegt (nicht unbedingt etwas für Menschen, die sich im Schlaf sehr viel herumdrehen, das Netz weiter oben im Bild ist das einzige, was vor dem Herunterfallen schützt). Und es gilt zu bedenken: In der oberen Etage ist es am wärmsten. Das war auch bei mir der Fall. Trotzdem habe ich wieder geschlafen wie ein Stein und bin erst aufgewacht, als die deutschen Grenzschutzbeamten meinen Personalausweis sehen wollten. (Auf der Hinreise war das übrigens nicht der Fall).

Unterschiede Schlaf- und Liegewagen

Der Vorteil des Liegewagens liegt vor allem im Preis. In meinem Fall lag der Unterschied allerdings nur bei 20 Euro und der Mehrwert im Schlafwagen ist doch deutlich höher, deshalb fällt mein Urteil auf jeden Fall pro Schlafwagen aus, hier kommen die Gründe:

  • Im Schlafwagen könnt Ihr Euch nicht nur in ein gemachtes Bett legen, sondern auch tatsächlich Nachtwäsche anziehen, Zähne putzen, das gesamte Schlafritual halt. Im Liegewagen müsst Ihr für letzteres zu den Gemeinschaftstoiletten laufen. Und alle schlafen angezogen. Die Morgentoilette läuft ebenfalls sehr spartanisch ab. Im Schlafwagen gibt es einfach mehr Privatsphäre, mehr Platz, mehr Komfort.
  • Der freundliche Steward, das Willkommenheißen im Schlafwagen, einfach schön…
  • Die Flasche Wasser und den Fruchtquetschi für die Nacht bietet der Nightjet für beide an. Im Liegewagen gibt es morgens ein Wiener Frühstück (Kaffee/Tee, 1 Semmel, Butter, Marmelade). Im Schlafwagen könnt Ihr Euch das Essen aus vielen Möglichkeiten zusammenstellen, und sechs Frühstückskomponenten sind „inkludiert“. So könnt Ihr pappsatt und ausgeruht in den ersten Urlaubstag starten.

Fliegen oder Bahnfahren?

Fliegen geht natürlich schneller, das ist klar. Aber auf Fernflügen hätte ich viel dafür gegeben, wenn ich nur ein bisschen von dem Komfort hätte haben können, den schon der Liegewagen im Nightjet bietet. Schlafen können und ausgeruht ankommen, das ist das Wichtigste – und das klappte erstaunlich gut. Und dann ist da ja noch der „klitzekleine“ Unterschied im CO2-Ausstoß. Selbst atmosfair, die anbieten, den Klimaeffekt von Flugreisen weitgehend zu kompensieren, sagen von sich, sie seien

„nur eine konkrete Handlungsmöglichkeit, wenn ein Flug nicht vermieden werden kann. Klimaschutzbeiträge sind im Vergleich zum weniger Fliegen nur die zweitbeste Lösung.“

Ja, Bahnreisen dauern länger. Aber wenn ähnlich wie in Schweden auch bei uns immer mehr Leute Nachtzüge nutzen, werden auch Komfort an und auf den Strecken zunehmen, mehr Reiseziele werden auch per Nachtzug erreichbar sein. Der Preis war in meinem Fall sowieso niedriger als jeder Flug. Und deshalb sehe ich für die Zukunft das „Reisen im Schlaf“ als echte und angenehme Alternative zum klimaschädlichen Fliegen.

Ihr wollt wissen, wie viel CO2 Ihr mit eurem Lebenswandel im Vergleich zum Durchschnittsdeutschen verbraucht? Hier geht’s zum CO2 Rechner des Umweltbundesamtes.

14 Kommentare

  1. ja diese nachtzüge. ich bin früher viel mit ihnen gefahren, als davon noch viele unterwegs waren. das letzte mal bin ich von malmö nach berlin damit unterwegs gewesen. da fuhr der zug auf die fähre. hoffe auch, dass diese züge wieder häufiger verkehren…

  2. Na hoffen wir, dass die Deutsche Bahn es irgendwann mal so richtig bereut, dass sie dieses so unrentable Geschäft aufgegeben hat. Das hatte mich ziemlich schockiert. Ich bin auch schon mit ganz normalen Zügen über Nacht gefahren, das würde ich allerdings nicht weiterempfehlen.

    • Ich auch nicht, es gibt ja auch Sitzplätze im Nightjet, die günstigste Reisemöglichkeit, aber die waren gar kein Thema für mich.

  3. kariwana sagt

    Ja, da hat die Bahn mal wieder die Weichen falsch gestellt – hat sie nicht auch die Autoreisezüge eingestellt, abgegeben oder drastisch reduziert?

  4. Ja, schade, daß die Nachtzüge hier verschwunden sind und das ist ja erst zwei Jahre her oder? Gerade für Langstrecken ist das doch eine gute Möglichkeit. Ich habe mich auch schon manchmal gefragt, wie das als Frau ist, allein im Liegewagen zu reisen. In meiner Jugend 😉 habe ich das mit einer Freundin gemacht und wir hatten interessante Reisebegleiter aus Borneo dabei. Heute wäre ich vermutlich nicht mehr so locker drauf. Danke für die guten Tips!

    • Das könnte von mir sein „heute wäre ich vermutlich nicht mehr so locker“. Wenn ich das nächste Mal allein reise, kein gemischtes Liegewagen-Abteil mehr 😉

      • Lach! Ja, mit dem Alter kommt die Skepsis. Schade eigentlich, aber heute würde ich das wohl auch nicht mehr wollen.

  5. Barbara sagt

    Ich fahre seeehr gerne mit der Bahn ins Ausland, mag aber lieber tagsüber fahren und plane eine Übernachtung ein, nach dem Motto ‚Der Weg ist das Ziel ich finde es wunderbar mit Kopfkissen und Buch unterm Arm los, mindestens eine Stunde zum Züge wechseln planen, am besten frühzeitig 1. Klasse Ticket jagen und die Pausen in den meist ruhigen VIP Lounges verbringen Kein Schlange stehen, keine mies gelaunten Sicherheitskontrolleure,…

  6. Wolfram, sagt

    Gegenüber frühert hat es inzwischen eine – aus meiner Sicht entscheidende – Verschlechterung des Angebotes gegeben: Es gibt keine Bordrestaurants mehr!
    Nein man verhungert nicht, man kann (weil man meist ja ausreichend spät losfährt) am Bahnhof essen oder sich aus einer kleinen Auswahl etwas in das Abteil bringen lassen, das ist nicht so sehr das Problem.
    Vielmehr bedeutet es, dass man die komplette Fahrzeit auf sein kleines Abteil beschänkt ist. Und da hält man sich ohne öffnenbares Fenster und mindestens ab 3 Personen im Abteil einfach in einem wachen Zustand nicht sehr gerne auf – und auch auf dem Gang ist man nicht gerne gesehen, aber 21 Uhr wird man auf die Nachtruhe hingewiesen.

    Die Betten im Liegewagen sind sehr hart, es ist eng, an guten Schlaf nicht zu denken.

    Bei unserer Fahrt (Anfang November) fiel in der Nacht für eine Stunde der Strom aus – und dadurch auch die Heizung. In den Alpen mit einer sehr dünnen Wolldecke auch kein Spaß. Laut Zugbegleitern kommt das wohl häufiger vor.

    Auch Verspätungen (bei uns München – Rom + 1,5 Stunden, Rückfahrt + 1 Stunde) sind wohl Standard. Tüten mit Trinken und Essen als Entschuldigung stehen denn auch wohl allzeit bereit.
    Durch diese sehr unbequeme Art zu reisen, verschwindet auch der vermeintich große Vorteil: Zeit vor Ort zun gewinnen. Wir jedenfalls waren so gerädert und übernächtigt, dass der eigentliche Urlaub eh erst am darauf folgenden Tag so richtig begann.

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