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Beim Sensenmann auf dem Höhbeck


Auf dem Höhbeck, einem Höhenzug an der Elbe im niedersächsischen Wendland, setzt sich Stefan Reinsch für die Artenvielfalt und den Erhalt gefährdeter Tiere und Pflanzen ein. Der hier als Sensenmann bekannte Naturschützer plädiert für mehr unaufgeräumte Kulturlandschaften.

Stefan Reinsch zeigt eine winzige Blüte

Hot Spot der Artenvielfalt

„Wir stehen hier mitten in einem Hot Spot der Artenvielfalt“, sagt Stefan Reinsch und deutet um sich, „auch wenn vieles davon ziemlich unscheinbar ist.“ Wir befinden uns auf dem Höhbeck, einer eiszeitlichen Stauchendmoräne in der niedersächsischen Elbtalaue. Weiter unten fließt die Elbe. Von hier oben, rund 60 Meter darüber und romantisch eingerahmt von großen Bäumen, sieht das Panorama am Nordhang mit Eichen-Hainbuchen-Mischwald aus wie ein Gemälde von Caspar David Friedrich.

Entstanden ist der Hügel, weil sich der Salzstock Gorleben-Rambow einst gehoben und das glaziale Eis den Berg aufgefaltet hat. Mehrere Quellen entspringen hier, etwas weiter unten fließt der Thalmühlbach zur Elbe, er gilt – seit die namensgebende Wassermühle nicht mehr in Betrieb ist – als „der einzige komplett unverbaute Mittelgebirgsbach“, sagt Reinsch. Er setzt auf Naturtourismus im Biosphärenreservat Niedersächsische Elbtalaue und bietet unter anderem geführte Kanutouren auf der Elbe an. Oder läuft zu Fuß über den Höhbeck: In den nächsten zwei Stunden wird er uns mitnehmen auf einen Rundgang zu ganz unterschiedlichen Lebensräumen und zu offiziell schon ausgestorbenen oder verschollenen Pflanzen.

Relief und Kleinklima

Grund für die verblüffende Artenvielfalt am Höhbeck sind die vielseitige Bodenstruktur mit Lehm, Kalk und Mergel und eine Vielzahl an unterschiedlichen Kleinklima-Zonen. Und der Höhbeck ist eine Wärmeinsel. „In den letzten Jahren wurden hier allein zwölf verschollene Bienen- und Wespenarten entdeckt“, erzählt Reinsch, „rund 760 Pflanzenarten hat man gezählt.“ Mit seinem Verein ArtenReich Höhbeck und einem Landschaftspflegehof setzt sich der Naturschützer dafür ein, dass diese einmalige Ansammlung von unterschiedlichen Naturräumen auf kleinstem Raum erhalten bleibt.

Die zeigt sich tatsächlich schon auf einem kleinen Rundgang verblüffend vielseitig: Harzähnlicher Wald befindet sich hier am Nordhang direkt neben Flussaue-Lebensräumen mit Elbtieren wie dem Seeadler. Der Schwarzspecht, der Kuckuck, ein typischer Niederungsvogel, und mehrere Fledermausarten kommen in diesem Lebensraum vor, u.a. die Wasserfledermaus, die Mopsfledermaus und das Langohr. An einigen Stellen stehen auf dem Höhbeck Info-Stelen, die den Blick für die Natur an dieser Stelle schärfen und besondere Tier- und Pflanzenarten erklären.

Und das, obwohl die Gegend auf den ersten Blick durchaus wenig naturnah, ja sogar ein wenig Lost Place-mäßig wirkt: Ein riesiger rot-weißer Sendemast ragt in den Himmel, wenn man sich dem Höhbeck nähert, der 344 Meter hohe Funkbrückenturm Gartow 2. Der in den 1970er Jahre errichtete und bis heute höchste Funkturm Deutschlands versorgte zu DDR-Zeiten bzw. während des Kalten Krieges West-Berlin mit Telefon und Fernsehen: mit der so genannten Funkbrücke. Heute wird noch der Deutschlandfunk darüber versendet, ansonsten nutzt ihn die Wissenschaft: Die TU Braunschweig misst damit in großer Höhe den Wind. Und nicht nur der Funkturm und weitere skurrile, alte Maschinen und Anlagen erinnern an früher.

Zeitreise in die 1970er

„Hier ist die Welt heute noch so, wie sie 1970 gewesen ist“, sagt Stefan Reinsch. Die Landschaft wurde jahrzehntelang nur extensiv landwirtschaftlich genutzt. Wir stehen inzwischen neben ehemaligen Obstwiesen auf der südlichen Seite des Höhenzugs. Streuobstweisen waren hier früher weit verbreitet. „Der Höhbeck war vor hundert Jahren noch komplett waldfrei“, erklärt der Naturschützer und Landschaftpfleger. Heute sind nur wenige der alten Streuobstwiesen übrig. Die haben ihren Namen übrigens daher, dass das gemähte, nährstoffarme Gras nur als Einstreu für die Ställe genutzt werden konnte, und nicht wie bei der fetteren Heuwiese als Tierfutter.

Reinsch deutet auf einen umgefallenen Baum, auf Wegraine, Zaunwicke, Gamander-Ehrenpreis und eine kleinräumige „Unordnung“ in der Wiese: „Das Insektensterben haben wir heute vor allem wegen mangelnder Vielfalt, wegen der aufgeräumten, ausgeräumten Landschaften mit industrieller Landwirtschaft“, sagt er. „Der Einsatz von Gift kommt dann noch on top, ist aber nicht der Hauptgrund. Die Insekten finden in diesen sterilen Landschaften einfach keine Nahrung und keinen Lebensraum mehr.“ Und so gibt es in der Folge auch immer weniger Vögel, weil die auf Insekten als Nahrung angewiesen sind. Am Höhbeck ist das noch anders, hier sind hundert Brutvogelarten gezählt worden.

Rentierflechte auf abgeplaggten Flächen

Ein Wiedehopf ruft, Feldgrillen zirpen. Wir haben die Streuobstwiesen hinter uns gelassen, haben einen Bereich mit extrem magerem, abgeplaggten Boden erreicht. Hier hat Reinsch die fruchtbare Humusschicht abgetragen und junge Bäume und Büsche entfernt, nun wächst zunehmend grau-grüne Rentierflechte am Boden, außerdem Sandstrohblumen und Heidenelken. Auch Kamm-Wachtelweizen steht in kleinen Gruppen hier, die Pflanze ist eine Rote-Liste-Art 3 und gilt an einigen Orten in Deutschland bereits als ausgestorben. Die Pflanze wie auch die Flechten sind extrem empfindlich und benötigen einen extrem nährstoffarmen, kalkigen Boden. Die Flächen dürfen deswegen nicht betreten werden, um die Kostbarkeiten nicht aus Unachtsamkeit zu zertreten. Reinsch schaut erst genau und kniet sich dann ganz vorsichtig hinein, um uns einige der Pflanzen zu zeigen.

Gilt vielerorts als ausgestorben: der Kamm-Wachtelweizen

30 Heuschreckenarten und, nur stichprobenartig erfasst, 200 Wildbienenarten finden hier ihr Auskommen – zum Vergleich: In ganz Deutschland gibt es nur 450 Arten insgesamt. Damit das so bleibt, muss die Fläche offen gehalten werden, sonst wächst hier bald wieder Wald. Schafhaltung hilft dabei. Oder Abplaggen von Hand, Stück für Stück. Reinsch bearbeitet die Landschaft nur von Hand, nie maschinell oder gar in industriellem Maßstab: „Wir wollen wir die kleinteilige, landwirtschaftlich geprägte Kulturlandschaft erhalten, indem wir die ökonomisch nicht tragfähige extensive Nutzung von Wiesenflächen fördern.“

Der Sensenmann

Ein paar hundert Meter weiter stehen auf einer Trockenrasenfläche blauer Ackerkrummhals und lila Stiefmütterchen. Feldgrillen sind zu hören, Wiedehopf, Wendehals und Gartenrotschwanz leben hier ebenfalls. Eine Wegerich-Scheckenfalter flattert vorbei, auch er eine Rote Liste Art 1, die also kurz vor dem Aussterben steht. Rote-Listen-Arten werden meist in vier Kategorien eingeteilt: 3 bedeutet „gefährdet“, 2 „Stark gefährdet“, 1 „vom Aussterben bedroht“ und 0 „ausgestorben oder verschollen“. Stefan Reinsch erzählt, wie er die Fläche mäht: grundsätzlich mit der Sense, nie maschinell. So wie er alles am Höhbeck mit Umsicht und von Hand macht. Bekannt ist er in der Region daher auch als „Sensenmann“ denn er hat das Sensen aus dem Süden der Republik wieder nach Norddeutschland gebracht und gibt hier auch Sensenkurse.

Der Unterschied zur maschinellen Mahd ist immens: „Damit wird der Bewuchs geschnitten, nicht gequetscht und gehäckselt. Das tötet nämlich viele Insekten, weil sie einfach mitgehäckselt werden.“ Die in Norddeutschland so verbreitete Treckermahd sei daher ein Grund für das massive Insektensterben, sagt Reinsch. Er senst immer nur kleinteilig, Stück für Stück, und das den ganzen Sommer über. So haben die Insekten immer genug Bewuchs und Blüten. Und ein weiteres Mal stellt der Naturschützer fest: „Wir brauchen wieder mehr unaufgeräumte Landschaften“. Solche, in denen Totholz liegenbleibt, Hecken kleinräumig Abwechslung schaffen und Blühpflanzen nicht bekämpft werden. Wer sich weiter mit dem Thema beschäftigen will: Der BUND hat hier zahlreiche Studien zum Insektenrückgang zusammengefasst, der in den letzten 30 Jahren meist auf erschreckende 70-80 % beziffert wird. Anders gesagt: In nur drei Jahrzehnten sind drei Viertel unserer heimischen Insekten ausgestorben.

Nächstes Ziel: Wollverarbeitung

Reinschs nächstes Projekt ist es, Wolle am Höhbeck zu verarbeiten und so das hierzullande fast vergessene Naturprodukt mit seinen tollen Eigenschaften wieder aufzuwerten. Dafür hat der gelernte Maschinenbauer alte Industriemaschinen gekauft, im Sommer soll es mit dem Projekt WendenGarn losgehen. Die Wolle dafür liefern zuerst die eigenen, später dann auch weitere Schafe aus dem ganzen Biosphärenreservat Elbtauaue.

Info und Tipps:

Mehr Infos zum Wendland und der Elbe bekommt ihr hier.

Das alte Ausflugslokal Schwedenschanze auf dem Höhbeck, einst als Wandervogel-Quartier gegründet, bietet um die Johannisnacht im Juni romantische Glühwürmchen-Abende an. Wenn es warm ist, fliegen dann nämlich unzählige Glühwürmchen am Nordhang. Denn, und da schließt sich der Kreis wieder, auch die Glühwürmchen brauchen, wie die meisten Insekten, Totholz und eine abwechslungsreiche, kleinteilige Landschaft.

Eine ganz andere Landschaft: Ist das denn etwa schon die Lüneburger Heide? Nein! Keine 20 Kilometer vom Höhbeck entfernt, liegt die Nemitzer Heide. Die Fläche entstand erst im Jahr 1975 nach einem Waldbrand 1975. Im Nemitzer Heidehaus zeigt eine Ausstellung die Kultur- und Naturgeschichte dieser Heidelandschaft, im Restaurant gibt’s´ was zu essen. Der Nemitzer-Heide-Weg erschließt die Landschaft auf 15 Kilometern.

Ins Wendland wurde ich vom Marketingbüro Wendland.Elbe und Tourismus Marketing Niedersachsen eingeladen.

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