Schlösser, Landhäuser und drum herum schöne Gartenarchitektur – für das UNESCO-Welterbe Gartenreich Dessau-Wörlitz sollte man viel Zeit und Muße zum Genießen mitbringen.
„Wörlitz hat im 18. Jahrhundert eine große Strahlkraft gehabt“, sagt Uwe Quilitzsch. Der Experte von der Abteilung Schlösser und Sammlungen der Kulturstiftung Dessau führt uns gerade durch das Schloss Wörlitz, den Paradebau des Klassizismus in Sachsen-Anhalt. Weil Fürst Leopold III. Friedrich Franz von Anhalt-Dessau extrem an der Moderne und Aufklärung interessiert war, ließ er das Schloss in den Jahren 1769 bis 1773 bauen. Und in einer damals einmaligen „Landesverschönerung“ von einem großen Englischen Landschaftspark umgeben (den wir später sehen werden). Das war neu und, ja, tatsächlich fast revolutionär: „Wörlitz im 18 Jahrhundert ist vergleichbar mit dem Dessauer Bauhaus im 20. Jahrhundert“, bring es Uwe Quilitzsch plakativ auf den Punkt.
Reiseerinnerungen im Schloss Wörlitz
Fürst Franz, wie er kurz nur genannt wurde und bis heute wird, war fasziniert von der Kunst der Antike. Und vor allem von England. Dorthin reiste er mehrfach als junger Mann und lernte so Englische Landschaftsgärten kennen. Die gab es zu der Zeit in Europa noch nicht, dort war in den Parks alles geordent, die Natur der Regelhaftigkeit der Gestaltung unterworfen: Barock. Der Fürst bereiste damals auch Italien und die Schweiz. Und von diesen Reisen und seiner Sehnsucht nach fernen Ländern und Kulturen erzählt nun jeder einzelne Raum im Schloss.
Kaum drinnen, direkt neben dem Eingang, wird direkt klar, worum es in dem von Architekten und Aufklärungs-Vorreiter Friedrich Wilhelm Freiherr von Erdmannsdorff gebauten Schloss Wörlitz geht: In einer Rotunde steht ein Abguss von Apoll, dem Gott der Aufklärung. Im Mittelpunkt steht hier, architektonisch umgesetzt, die Abkehr vom Alten, die Aufbruch in eine neue Welt oder, wie Kant es auf den Punkt brachte, der „Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit.“
Wedgwood-Karamik als fürstlicher Lifestyle
Überall erzählen auch die Dateils eine Geschichte. In vielen Räumen findet sich etwa kostbare Wedgwood-Keramik. Die luxuriöse Kunst-Keramik aus dem englischen Staffordshire war damals eine ganz neue, moderne Art, Gefäße herzustellen. Fürst Franz und Fürstin Louise nutzten ihr Wedgwood-Teeservice für Teestunden und machten die Keramik damit in Deutschland bekannt und begehrt. Und falls einen danach die Müdigkeit übermannte – im Saal gibt es ein Wandklappbett und Stühle mit grünem Seidendamast. Kleine ironische Seitenhiebe fehlen auch nicht: In der Bibliothek hängen genau 99 Porträts wichtiger Zeitgenossen von Fürst Franz. Aber einer fehlt: Goethe. Franz soll dazu gesagt haben: „Goethe ist mir zu höfisch. Man kann sich mit ihm nicht über England unterhalten.“
Und immer wieder geht es im Schloss Wörlitz im China. Da sind Drachen an die Decke eines Raums gemalt, chinesische Statuen stehen an den Wänden als Dekoration. Das Land und seine Kultur faszinierten Fürst Franz ganz besonders, erzählt Uwe Quilitizsch, die damals modernste Kultur, das feine Porzellan, die Seide. Diese Fernost-Faszination ist wirklich überall im Schloss zu spüren.
Garten der Aufklärung: Park Wörlitz
Nach dem Schlossrundgang geht es ins Freie. Denn der eigentliche Star hier ist der riesige Park. Im Jahr 1764 begann man, in Wörlitz den ersten Englischen Landschaftsgarten Deutschlands zu gestalten, von Beginn an bis heute kann er kostenlos besucht werden. „Im Gartenreich haben wir immer die Verbindung des Nützlichen mit dem Schönen“, erklärt Uwe Quilitzsch.
Wie aber kam es zu dem heutigen Gartenreich Dessau-Wörlitz? Nach dem 30-jährigen Krieg und danach war hier weitläufig ausgestorbenes Land. Und Fürst Franz gab seiner Bevölkerung Arbeit, indem er sie den weitläufigen Garten anlegen ließ und ihnen landwirtschaftliche Flächen überließ. UNESCO geschützt ist deswegen nicht nur der Landschaftspark, in dem wir stehen. Zum Welterbe Gartenreich Dessau-Wörlitz gehört die ganze Landschaft, auch die Dörfer und Felder drumherum und weitere Schlösser und Parks in der Umgebung. denn nur zusammen ergeben sie dieses einmalige, durchdacht komponierte Landschaftsbild.
All gardening is landscape painting
Der Park Wörlitz, den Landschaftspark und Garten der Aufklärung, lässt sich mit viel Zeit hervorragend schlendernd entdecken. Dann tauchen immer wieder neue Landschaftsansichten auf, die wie Gemälde anmuten. Und genau das ist, so zufällig es erscheint, Absicht. Immer wieder tun sich überraschend Sichtachsen auf, ganze 370 davon sollen es im Wörlitzer Garten sein.
Wer die Bilder vom Wasser aus genießen will, nimmt die Gondel. Das tun wir und erfahren: Schon zu DDR-Zeiten war der Garten ein beliebtes Ausflugsziel und man ließ sich mit Gondeln über den See und die Kanäle im Garten rudern. An den beiden großen Rudern sitzt heute Horst Woche. Wie Uwe Quilitzsch kennt der knapp 70-Jährige sich hier bestens aus, war früher selbst in der Gartenabteilung der Kulturstiftung Dessau-Wörlitz beschäftigt, die das Areal verwaltet und pflegt. „Der Wörlitzer See ist ein Altwasser der Elbe, dort hinten liegt der Deich mit dem Elberadweg“, erzählt er und zeigt in die Ferne. Der Wasserstand des Sees ist mit der Elbe über das Grundwasser verbunden, in den vergangenen Jahren war der See deshalb schon fast trockengefallen. Es gibt auch ein massives Gehölzsterben nach den letzten drei Dürrejahren und man überlegt derzeit, welche Pflanzen man jetzt pflanzt. Denn sie müssen die Wetterextreme aushalten, die durch den Klimawandel zunehmen werden, mal extrem trocken und heiß, dann wieder Starkregen oder große Kälte im Winter.
„All gardening is landscape painting“ lautet das Motto im Landschaftspark: Während es hier nur geschwungene, geschlängelte Wege gibt, fanden sich im – damals vorherrschenden – Barockgarten nämlich nur gerade Wege mit exakt gestutzten Gehölzen. Im Landschaftsgarten ergeben sich hingegen immer neue Bilder und Sichtachsen, große Bäume und Gehölze werden mit Bedacht und Voraussicht dafür gepflanzt – geradezu revolutionär damals. „Der Fuß geht im Landschaftsgarten immer anders als das Auge“, erzählt Horst Woche, während er uns von Schwänen und Enten begleitet am sogenannten Toleranzblick vorbei rudert, der Sichtachse zwischen Synagoge und Kirche.
Toleranz und Aufklärung als Prinzip
Auch hier im Garten folgt alles einer übergeordneten Idee: immer wieder hat Fürst Franz Toleranz und Aufklärung manifestiert. Und seine große Faszination für Italien ausgelebt. Wie mit der Insel Stein am östlichen Ausläufer des Sees: Mit einer Vesuv-Nachbildung, die sogar mit Rauchschwaden künstlich ausbrechen kann, einem scheinbar antiken Theater, Grotten und der klassizistischen Villa Hamilton wähnt man sich hier fast in Süditalien.
Ein weiteres Motto im Landschaftsgarten lautet „Das Schöne mit dem Nützlichen verbinden“ – Uwe Quilitzsch hatte es schon engangs erwähnt. Es gab hier einst Schafe, Pferdegespanne und Getreideanbau. Der ganze Park war gewissermaßen ein lebendiges Freilichtmuseum, nicht zuletzt, damit die Kinder die Landwirtschaft kennenlernen konnten. Und Fürst Franz hat den Obstbau nach Anhalt gebracht, erfahren wir, als Wirtschafts- und Gesundheitsfaktor.
Biber und Pfaue
Wir fahren unter einer der 22 Brücken im Landschaftspark Wörlitz hindurch. Direkt daneben ist ein Biberbau zu sehen, abgenagte Äste verraten die Tiere. „Es gibt derzeit vier Biberfamilien im Park, die ziemliche Schäden an den jungen Bäumen anrichten“, berichtet Horst Woche. Mit Draht um die jungen Baumstämme versucht man, sie vor dem Fraß zu schützen.
Aus der Ferne rufen seit einiger Zeit Pfaue heiser „He-jau, He-jau“, die Rufe werden langsam lauter. Wir gleiten am Gotischen Haus vorbei, mit seinen Türmchen wirkt es wie aus der Zeit gefallen . Zu seinen Lebzeiten war dieses neugotische Haus mit seiner Kunstsammlung einer der Rückzugsorte von Fürst Franz, außerdem beherbergte es die Wohnung für den Hofgärtner.
Langsam zieht das Haus vorüber, macht einem neuen Eindruck Platz. Eine Gondelfahrt ist tatsächlich eine sehr entspannte Art, die vielen Landschaftsbilder auf sich wirken zu lassen. Wenn man, wie wir, dazu noch einen Imbiss an Bord gebucht hat – Genuss für alle Sinne. Nach rund zwei Stunden steuer Horst Woche die Gondel wieder ans Ufer. Bevor wir gen Schloss und Schlosspark Oranienbaum aufbrechen, rät er uns, statt des Autos (mit dem die meiste Besucherinnen und Besucher kommen) lieber den Fürst-Franz-Wanderweg oder das Fahrrad nehmen. Denn die Landschaft lässt sich so viel besser entdecken. Da entgehen einem viele Übergänge und historisierende Bauwerke wie nachgemachte Ruinen nämlich schlichtweg.
Ein Stück Holland in Sachsen-Anhalt: Schloss Oranienbaum
Wir haben heute leider nicht so viel Zeit und deshalb doch den Bus nach Oranienbaum genommen und staunen: Was für ein Kontrast nach dem Eindruck des Landschaftsgartens in Wörlitz! So sahen also die Parks aus, bevor Fürst Franz seine neuartigen Ideen in der Region umsetze. Das Schloss Oranienbaum ist noch im strengen niederländischem Barockstil erbaut. Die Holländerin Henriette Catharina, verheiratet mit dem Fürsten Johann Georg II. von Dessau-Anhalt, ließ das Schloss und den angeschlossenen Barockgarten ab 1682 als Sommersitz errichten. Sie war eine von vier Schwestern aus der Dynastie Oranie-Nassau und verewigte dies wie ihre Schwestern im Namen ihres Schlosses. Verantwortlich für die ganze Anlage war der aus ihrer Heimat stammende Baumeister Cornelius Ryckwaert. Er brachte viele holländische Elemente mit hierher nach Sachsen-Anhalt.
Lange lag das Schloss Oranienbaum in Dornröschenschlaf. Erst im Jahr 2003 wurde es wiedereröffnet, zuvor war es verfallen und beherbergte, ganz zweckmäßig, ein Archiv. Zuminest wurde es so geheizt. Die Fassade war über Jahrzehnte gelb gestrichen statt weiß-anthrazit wie Original. Heute sind das Schloss und ein Flügel restauriert, der zweite wartet noch darauf. Eine schöne Sonnenuhr ist an einem der Flügelgebäude ebenfalls erhalten.
Renovierung als spannender Prozess
Das Schloss Oranienbaum ist wohl gerade deshalb so außergewöhnlich, weil es sich noch mitten im Renovierungsprozess befindet. Während manche Räume schon wieder in altem (oder neuem) Glanz erstrahlen, kratzen Restaurateure anderswo noch Farbe von Wänden und Türen, finden darunter alte Farbschichten und Malereien.
So sind neben moderner Vogeltape im Saal auch alte Ledertapeten und wertvolles Porzellan zu besichtigen, und der kühle Sommerspeisesaal im Erdgeschoss ist noch immer mit original blau-weißen holländischen Kacheln ausgekleidet.
Orangenbäume und Orangerie im Barockgarten
Der Orangenbaum ist Symbol der Familie, er steht aus Metall im Schlosssaal mit seiner ganz neuen, modernen Tapete mit orangefarbenen Vögeln. Eine Kopie davon ist auch auf dem Marktplatz des Ortes Oranienbaum zu sehen. Überall finden Orangen im Schloss: Schon die Eingangsbemalung an der Decke zeigt Vögel mit Zweigen im Schnabel, darunter auch Pomeranzenzweige, ein wichtiges Symbol der Oranier-Dynastie.
Im hinter dem Schloss liegenden Barockgarten säumen Orangenbäume die geraden Wege. Sie sind in Kübel gepflanzt und wurden von den Gärtnern jeden Herbst vor dem ersten Frost zum Überwintern in die ab 1812 erbaute Orangerie geholt – dazu dient eine der längsten Orangerien Europas bis heute.
Englisch-chinesischer Garten
Spuren von Fürst Franz, der ja das große Gartenreich Dessau-Wörlitz gestaltete, finden sich dann aber auch hier. Seine Faszination für China hat sich wieder manifestiert. Auf der der Orangerie gegenüber liegenden Seite des Barockgartens schließt sich der Chinesische Garten des Glücks an. Fürst Franz zog die Barockanlage in seine Landesverschönerung mit ein: Einst ein Inselgarten mit Wasser, gestaltete er diesen Bereich in einen Englisch-Chinesischen Garten des 18. Jahrhunderts um.
Akzente setzen zwischen hohen Platanen und Eichen eine Pagode, ein Chinesisches Haus und mehrere Bogenbrücken über Teiche und Kanäle. Dass alle Brücken gekrümmt sind, ist übrigens kein Zufall: Es gibt in diesem Teil des Gartens nur krumme Wege, damit die bösen Dämonen nicht folgen können. Die bewältigen offenbar nur gerade Wege.
… noch ein paar nützliche Infos zum Gartenreich Dessau-Wörlitz
Informationen zum Park und Schloss Wörlitz findet ihr hier, zum Schloss Oranienbaum hier.
Mehr zum Gartenreich in Sachsen-Anhalt: www.gartenreich.de
Hier findet ihr Infos und Tipps zu Reisen nach und in Sachsen-Anhalt.
Eine Pause in historischem Ambiente lässt sich im Gasthof Zum Eichenkranz machen. Das historische Gebäude war einst eine Herberge für Besucher des Fürsten, u.a. Klopstock und Hegel übernachteten hier. Unglaublich: Früher verlief die Bundesstraße mitten durch das Gebäude!
Heute kann übrigens im Park im alten Wallwachhaus oder einem alten Bauernhaus übernachten, Tipp: lange vorher reservieren!
Einen wunderschönen Garten direkt um die Ecke vom Café zum Eichenkranz hat Ute Spieß. Sie bietet dort in ihrer Manufaktur Wildwuchs Kurse an, etwa zum Kranzbinden. Wer dafür keine Zeit hat, ist in ihrem Garten auch nur zum Schauen willkommen. Es lohnt sich! Mehr Infos: http://ute-wildwuchs.de
Die Reise ins Gartenreich nach Sachsen-Anhalt habe ich auf Einladung der Investitions-und Marketinggesellschaft IMG Sachsen-Anhalt unternommen.
Ein schöner Bericht und schöb bebildert. Ich stamme aus „der Ecke“ und war da schon als Kind immer gern.
Danke! Es war bestimmt auch nicht mein letzter Besuch, durch den Landschaftspark Wörlitz möchte ich nochmal mit ganz viel Ruhe schlendern. Und noch weitere Gärten und Parks entdecken. 🙂