Wattwandern ist spannend. Aber habt ihr auch schon mal eine Salzwiese genauer unter die Lupe genommen? Auf Spiekeroog habe ich eine Tour in diesen Extremlebensraum unternommen.
Salzwiesen liegen zwischen Land und Meer. Im Winter unscheinbar und bei Sturmfluten komplett mit Wasser bedeckt, verändern sich die Extremlebensräume im Sommerhalbjahr ständig. Im Frühling tupfen die Strandgrasnelken erste zartrosa Flecken ins grüne Andelgras. Das heißt so, erklärt unser Salzwiesen-Guide Anja Sander, weil die Insulaner früher ihren Anteil, Andeel auf Platt, an dem Gras bekamen – je nachdem, wieviel sie bei der Mahd auf der Wiese mitgearbeitet hatten. Andelgras speichert das Salz nur in den Wurzeln, deshalb können sogar Pferde auf der Salzwiese grasen, ohne krank zu werden. Später im Sommer blüht der Strandflieder und verwandelt die Salzwiese bis zum Horizont in ein lila Blütenmeer – und in ein Paradies für die Spiekerooger Inselbienen, die hier dann jede Menge Nektar sammeln. Und Strandsode und Queller tauchen Neptuns Vorgarten im Herbst in ein kräftiges Rotbraun, wie norddeutsches Indian Summer ohne Bäume.
Geschützte Salzwiesen
Salzwiesen gehören zu den schönsten und schützenswertesten Lebensräumen im Nationalpark Wattenmeer. Ihre pflanzlichen Bewohner, Halophyten – Salzpflanzen – genannt, müssen Außergewöhnliches leisten. Denn sie wachsen an einem Extremstandort. Immer wieder überflutet das salzige Nordseewasser die Wiese. Bei der Unteren Salzwiese, die sich direkt ans Watt anschließt, passiert das bei Springtide mindestens alle 14 Tage, bei der Oberen Salzwiese vor allem in den Wintermonaten bei Sturm.
Auf der Oberen Salzwiese stehen weniger salzresistente Pflanzen als näher am Nordsee-Wasser. Doch wo genau endet das Watt und wo beginnt die Salzwiese? Anja Sander hat eine einfache Regel zum Merken: Wo Queller steht, ist noch Watt, wo Andelgras wächst, beginnt das Land. Also in unserem Fall Spiekeroog.
Essbar und mit Heilkraft
Und was macht die Pflanzen aus? Fest und derb sind die meisten von ihnen, und oft kleiner als ihre Verwandten auf nicht salzigen Standorten. Mit den festen Stängeln und Blättern schützen sie sich gegen das Salz. Nachdem wir als Gruppe einen großen Bogen um einen am Boden brütenden Rotschenkel gemacht haben, der immer wieder über uns hinweg fliegt und schimpft – die Ostfriesen nennen ihn wegen seines Rufs auch einfach „Tüüt“ – erfahren wir, welche Pflanzen essbar sind. Oder wie der Strand-Wermut Heilkräfte haben. Und lernen, dass die Salzwiese nicht nur in jedem Frühjahr und Herbst Rastplatz für hunderttausende Zugvögel ist, sondern auch Brutgebiet von Austernfischer, Wiesenpieper, Seeschwalbe und Möwen.
Strandwegerich, Strand-Wermut und Spießblättrige Melde
Mangels Bäumen und Büschen bauen hier alle Vögel ihre Nester am Boden. Sowohl Eier als auch Jungvögel müssen also farblich perfekt an den Untergrund angepasst sein, um nicht ghefressen zu werden. Doch zurück zu den Pflanzen der Salzwiese. Es geht einfach los: Den Salzsukkulenten Queller erkennt fast jeder in der Gruppe. Er ist jetzt, Mitte Juni, noch recht klein. Der Queller ist eine Charakterart der entstehenden Salzwiese und essbar. Vor allem in den Niederlanden serviert man ihn gern zu Fisch.
Und noch mehr Leckeres wächst hier. Die Wilde Möhre ist ebenfalls essbar, sie hat wie ihre Gemüse-Verwandte typische Möhrenblätter, auch die Blätter des eher unauffälligen Strandwegerichs gleichen denen des Spitzwegerichs. Auch aus ihm kann man einen Tee oder mit Honig einen Sud gegen Husten herstellen oder ihn lindernd bei Insektenstichen verwenden.
Die Portulak-Salzmelde ist mehrjährig und bildet Horste. Sie hat helle Schuppen, die sie wie bemehlt aussehen lassen. Der Strand-Wermut sieht grau-bläulich aus und duftet intensiv. Früher hat man ihn gegen Kleidermotten eingesetzt und einen bitteren Schnaps daraus angesetzt, der die Verdauung anregen sollte. Mit der Strandsode wurden die Dielen gescheuert, der Name Sode kommt von Soda. Die Spießblättrige Melde ist eine der höchsten Pflanzen auf der Salzwiese, ihre namensgebenden Blätter sind dreieckig und spitz.
Leben mit dem Salz
Doch wie schaffen diese Pflanzen es, trotz der Extrembedingungen zu überleben? Das Nordseewasser ist schließlich eine echt starke, 3-prozentige Salzlösung. Die Antwort lautet: Indem sie ähnliche Anpassungstricks wie Wüstenpflanzen ausgebildet haben. Sie sind zuerst einmal meist klein. Wachsschuppen und ein feiner Pelz aus Härchen verringern die Verdunstung, fleischige Blätter speichern das aufgenommene Wasser.
Manche der Salzwiesenpflanzen haben an den Blättern Drüsen, über die sie Salz abgeben können, andere wie die Portulak-Salzmelde feine Härchen, in die sie konzentrierte Salzlösung pumpen und die dann abbrechen. Und der essbare Queller (der ja eigentlich noch im Watt und nicht auf der Salzwiese steht, wie wir gelernt haben) wächst einfach immer weiter, um das Salz zu verdünnen – er quillt bis zum Herbst regelrecht auf, dann verfärbt er sich rötlich und stirbt ab. Seine Samen bleiben im Boden, so dass im kommenden Mai bis Juni die nächste Generation Queller heranwachsen kann.
Mein Fazit nach zwei Stunden: Ich könnte den ganzen Tag auf der Salzwiese verbringen, so spannend und exotisch ist dieser Extremlebensraum. Wenn ihr auf Spiekeroog oder auf einer der anderen Ostfriesischen Inseln seid und eine Salzwiesenführung angeboten wird – unbedingt machen!
*************** Gut zu wissen ***************
Spiekeroog ist ein Paradies für Naturfreunde. Wer Ruhe und intensive Begegnungen mit außergewöhnlichen (Extrem-)Lebensräumen sucht, ist hier genau richtig. Guide Anja Sander wirklich kurzweilige Touren an den Rand der Salzwiese an. Aber die Insel kann auch Dünen und endlosen Strand, hat ein wunderschönes Inseldorf und vieles mehr. Hier lest ihr meine 11 Tipps zur wirklich zauberhaften Insel Spiekeroog.
Meine Recherchereise in Juni 2023 wurde unterstützt von der Nordseebad Spiekeroog GmbH und der Ostfriesische Inseln GmbH.
… Lust auf mehr Ostfriesische Inseln? Wir haben noch Borkum, Juist und Wangerooge im Angebot.
Danke für die Infos! Wenn ich das nächste Mal auf Spiekeroog bin (meine Lieblingsinsel zusammen mit Amrum), versuche ich an einer Salzwiesenführung teilzunehmen. Den Rest der Zeit verbringe ich mit Wanderungen durch die Dünen oder am Strand…
Liebe Grüße
Claudi