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Polen: Auf dem Blue Velo zu den Wikingern

Am Stettiner Haff zu den Wikingern radeln: Der Radfernweg Blue Velo verbindet das polnische Westpommern mit der Ostsee. Der nördlichste Teil des Radwegs führt durch alte Dörfer, am Wasser entlang und durch geschützte Wälder. Unterwegs am Stettiner Haff – mit Stopp in einer alten Wikingersiedlung.

Die Ostsee ist zum Greifen nah, hier im äußersten Nordwesten Polens. Noch ein paar Kilometer in die Pedale treten, dann sind wir am Wasser. Während weiter südlich inzwischen sogar Wein wächst  – das Klima ändert sich, es wird spürbar wärmer, auch hier in Polen – und das Weingut Turnau bei Baniewice seit einigen Jahren ausgezeichnete Weine produziert, ist hier auf der nördlichen Etappe des Fernradwegs Blue Velo schon das Meer zu spüren. Aber halt – noch sind wir nicht an der Ostsee, sondern am am Stettiner Haff, dem durch die Inseln Wollin und Usedom abgetrennten Teil des Meeres.

Am Stettiner Haff

Die Sonne steht noch tief, als wir morgens in Stepnica unsere Tagestour auf dem Blue Velo beginnen – dort, wo die Oder ins Stettiner Haff mündet. Nach dem Green Velo, der durch den Osten Polens unter anderem auch durch Masuren führt, ist mit dem Blue Velo ein weiterer Rad-Fernweg entstanden. Er führt im Westen Polens von Schlesien durch das Oppelner Land, Niederschlesien und das Lebuser Land bis nach Westpommern. Einmal von Süden nach Norden, immer in der Nähe der Oder – die der Weg auf der gesamten Strecke allerdings nur zweimal kurz streift.

Kurze Pause: Weite und Spätsommersonne am Stettiner Haff genießen

Wir treten rund 50 Kilometer nördlich von Stettin in die Pedale. Doch nur kurz – nach ein paar hundert Metern stoppen wir schon wieder, zu schön ist der Blick aufs Wasser von der Seebrücke. Kurz ins die Sonne blinzeln und den Möwen zuhören, dann geht es richtig los. Wir rollen durch kleine Weiler, in denen die Zeit stehengeblieben zu sein scheint. Alte Frauen kommen uns auf holperigen Dorfstraßen zu Fuß oder mit dem Rad entgegen oder schauen uns vom Gartenzaun aus nach.

Mehlschwalben kreisen am blauen Himmel und sitzen immer wieder wie Noten auf dem Papier auf Stromleitungen. Bis sie kurz danach schon wieder aufgeregt auffliegen – wo sonst sieht man noch so viele Schwalben? Es fühlt sich an wie eine Zeitreise. Am Straßenrand grasen Kühe, in den Gärten gackern Hühner. Landidylle. Autos gibt es kaum auf diesem Abschnitt der Radroute, die hier, anders als weiter südlich, auf der Landstraße verläuft. Ein Specht klopft. In der Ferne trompeten Kraniche.

Vom Schutzgebiet Czarnocin nach Wolin

Nach einem kleinen Wäldchen erreichen wir das Schutzgebiet Czarnocin. Hier hat man wilde Highland-Rindern und Konik-Pferde angesiedelt. Beide Arten waren schon fast ausgestorben und sollen sich hier nun wieder vermehren. Leider zeigen sich heute weder Rinder nach Wildpferde auf der großen Wiese hinter dem Info-Schild. Schade. Also weiter.

Die Koniks sollen sich hier wieder vermehren

Nun führt der Radweg – der Blue Velo ist hier gleichzeitig der Rundweg um das Settiner Haff – direkt ans Wasser. Nur ein Schilfgürtel trennt uns vom Blau. Traumhaft. Kilometerweit rollen wir am Wasser entlang, mal direkt in der warmen Spätsommersonne, mal unter Bäumen in schattigen Alleen. Im Natura 2000 Reservat flüchten unzählige Schwäne aufs Wasser, als wir uns nähern. Kormorane sitzen in den bleichen Resten von Bäumen, am Ufer wächst wilder Hopfen. Das nahe Wasser verführt zu zahlreichen Pausen und Fotostopps. Einfach die Spätsommersonne genießen und aufs Wasser schauen. Dann gehts schließlich doch zurück aufs Rad, es liegt noch einiges an Strecke vor uns.

Wollin, Insel und geschichtsträchtiges Städtchen

Nach rund 30 Kilometern erreichen wir das Städtchen Wollin auf der gleichnamigen Insel, Polens größter. Hier lag einst eine der größten Wikingersiedlungen – wir werden sie später noch besuchen. Aber erst gibt es im Ortskern im  Eiscafé VaniliA gegenüber der St. Nikolaus Kathedrale ein Eis, traditionell Vanille und, experimentierfreudig, das grüne Avocado-Banane-Spinat. Lecker!

Unterwegs auf gut ausgeschilderten Wegen durch den Wald-Nationalpark

Gestärkt geht es weiter, noch einmal knapp 20 Kilometer auf dem Blue Velo, nun durch eine ganz andere Landschaft, erst durch hügelige Felder, dann durch Wald. Und was für ein Wald! Der Waldnationalpark Narodowy schützt den alten Buchenmischwald auf Wollin, wir strampeln zwischen hohen Bäumen bergauf und lassen uns dann wieder bergab rollen.

Blick über das Stettiner Haff

Schließlich erreichen wir nach einer letzten Steigung das Ende unserer Tagestour, den Aussichtspunkt Grodzisko am Burgwall Lubin. Hier zeugen Ausgrabungen von einer alten Burganlage aus dem 12. Jahrhundert. Doch viel spektakulärer ist der Blick auf das Stettiner Haff und die 44 Inseln darin. Ein Café mit Außenterrasse (und ebenfalls  zauberhaftem Fernblick) serviert Erfrischungen und Kuchen. Ein echt netter Platz und täglich ab 10 Uhr geöffnet. Wir entscheiden uns trotzdem gegen eine Einkehr. Denn die Wikinger warten.

Zeitreise zu Wikingern und Slaven

Vor tausend Jahren tobte hier der Bär. Die Hafen- und Handelsstadt (und spätere Hansestadt) Wollin war mit rund 10.000 Bewohnern einst nicht nur die größte, sondern auch eine der reichsten Städte in Nordeuropa. Vielleicht handelte es sich sogar um das sagenhafte Vineta? Hier kreuzten sich auf jeden Fall mehrere wichtige europäische Handelswege, unter anderem der von Kiew nach Cordoba. Befahrbares Wasser gab es auch – der perfekte Ort für eine Handelssiedlung. Gegründet von Wikinger Harald Blauzahn, stand Wollin vom 9. bis 11. Jahrhundert in voller Blüte. Besonders einflussreich war die Siedlung im 10. Jahrhundert. Davon zeugt das Slaven- und Wikingerzentrum Wolin-Jomsborg-Vineta: In dem Freilichtmuseum gibt es in 30 nachgebauten Häusern und Werkstätten nicht nur viel zu sehen. Sondern auch zu erleben: Hier wohnen den Sommer über original gekleidete Freiwillige aus der Region und Archäologen erforschen die Urahnen und ihr Leben anhand der realen Bedingungen.

Hereinspaziert ins Leben der Wikinger und Slaven!

Bei Instrumentenbauer, Silberschmied und Puppenmacherin

Das Freilichtmuseum ist definitiv ein Ort für Menschen mit einem Faible für die Vergangenheit! Manche, wie der Musiklehrer Dobromir, verbringen hier ihre gesamte Freizeit und den Sommerurlaub. Er zeigt den Besuchern, wie kunstfertig die Wikinger und Slaven Flöten, Hörner und Saiteninstrumente bauten und spielten.

 

Andere Bewohner der Siedlung schmieden Messer oder stellen in den nachgebauten Wikingerhäusern filigranen Silberschmuck her, färben Wolle mit Pflanzen oder leben wie damals als Bauern und Fischer. Wieder andere arbeiten als Guides: Wikinger Jerry mit der markanten Mütze, der eigentlich Jaroslav heißt, führt uns herum.

Wikinger Jerry vor einem der nachgebauten Wikingerschiffe

Los gehts bei den originalgetreuen Nachbauten von Wikingerschiffen. Ein paar Holzhäuser weiter backen in einem offenen Ofen Fladenbrot und Kekse, nebenan gibt es süßen Met. Und um die Ecke können Besucher selbst Hand anlegen und eine einfache Wikingerpuppe aus Leinenstoff und Wolle basteln. Überall wird gewebt, geschnitzt, getöpfert oder mit dem Bogen geschossen. Außerhalb des Dorfes ist die rustikale Wikingersauna angeheizt. Wir bekommen, als es schon dämmert, ein mittelalterliches Mahl aufgetischt. Es gibt Salat und Fisch, und die Fladenbrote, mit Schafskäse und Kräutern belegt und frisch aus dem Holzofen, sind zum Niederknien lecker.

Drachenbootrennen und Ritterkämpfe

Das Freilichtmuseum Jomsborg-Vineta ist von April bis Oktober für Besucher geöffnet. Richtig voll wird es hier Anfang August, wenn sich hunderte Wikingerfans aus Norwegen, Schweden, Finnland, Dänemark und Deutschland zum jährlichen Festival treffen. Dann wird nicht nur in der in den Boden eingegrabenen Wikingersauna gemeinsam geschwitzt und selbstgemachter Met gebechert, tausende Zuschauer feuern auch beim Drachenbootrennen und Ritterkämpfen die wackeren Wikinger an.

Blick aus dem Wikingerdorf auf das Städtchen Wolin

Blick aus der Wikingersiedlung auf das Städchen Wollin im Abendlicht

############# GUT ZU WISSEN #################

Hier findet ihr die Website des Freilichtmuseums Jomsburg Vineta Wolin. Ein Besuch lohnt sich wirklich! Nehmt euch ein paar Stunden Zeit, um den Handwerkern in Ruhe zugucken zu können und vom Met bis zum Fladenbrot alles zu probieren.

Das Tragen eines Helms ist empfohlen, vor allem, wenn ihr schnell mit dem Pedelec unterwegs seid. Und Achtung: Kein Alkohol am Steuer und auf dem Rad! Die Grenze liegt bei 0,2 Promille.

Tipp 1: Mit der App Pomorze Zachodnie könnt ihr einzelne Etappen auf dem Blue Velo planen.

Tipp 2: Wer in den Feuchtgebieten unterwegs ist, sollte guten Mückenschutz dabei haben. Abends helfen lange Hosen und Jacken gegen die blutrünstigen Plagegeister.

Meine Tour auf den Blue Velo durch Westpommern wurde vom Polnischen Fremdenverkehrsamt und der Westpommerschen Tourismusorganisation unterstützt.

Lust, selbst in die Pedale zu treten? Mehr Radtouren haben wir hier: Vias Verdes, Ruwer-Radweg, Moselradweg oder Main-Radweg

 

7 Kommentare

  1. Sina sagt

    Das klingt super. Hast du einen Übernachtungstipp für Wolin? Oder kann man direkt in dem Wikingerdorf bleiben?

    LG Sina

  2. Hallo Sina, ich weiß nur, dass man zum großen Wikingerfestival im August in einigen Fachwerkhäusern nahe des Geländes wohnen kann. Am besten kontaktierst du das Freilichtmuseum direkt.
    Liebe Grüße! Anke

  3. Zu den Wikingern wollte ich schon so lange! Fest vorgemerkt für nächsten Sommer!
    Uwe

  4. Katharina sagt

    Hallo Anke,
    Vielen Dank für deinen Artikel! Ich spinne schon wieder neue Ideen für den nächsten Sommerurlaub 😅
    Aber eine Frage habe ich. Du schreibst:
    In Polen gilt Helmpflicht für Radfahrerinnen und Radfahrer.

    Gibt es dazu eine Quelle?
    Ich war letztes Jahr in Polen unterwegs und da war nichts mit Helmpflicht. Vll hat sich das geändert, aber Google spuckt dazu nichts aus.
    Vll kannst du mir weiterhelfen

    Beste Grüße
    Katharina

    • Hallo Katharina,
      du hast Recht, es ist weiterhin nur eine Empfehlung. Da die Radwege manchmal durch darunter liegende Wurzeln ziemlich buckelig waren, würde ich aber auf jeden Fall dazu raten. Im Sommer hat man außerdem gleich einen Sonnenschutz auf dem Kopf – win win.
      Liebe Grüße
      Anke

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