Früher hing er von der Zimmerdecke, heute steht er am Heiligen Abend in fast jeder guten Stube: der geschmückte Tannenbaum. Auch auf Reisen begegnet er einem in diesen Tagen überall. Grund genug, mal zu gucken, wo der Baum als Weihnachtsbote eigentlich herkommt und welche Traditionen man in anderen Ländern rund um das grüne Weihnachtssymbol pflegt.
Freiburg oder Riga?
Mit Naschwerk, Früchten und Nüssen reich geschmückt – der erste, damals von Bäckern dekorierte Weihnachtsbaum soll im Freiburg des 15. Jahrhunderts gestanden haben. Andere Quellen sprechen davon, dass man im lettischen Riga im Jahr 1510 den ersten Christbaum errichtete. Eine Gedenktafel erinnert in der Altstadt daran. Wie auch immer – bis der immergrüne Baum als Sinnbild für Weihnachten rund um die Welt ging, verging einige Zeit. Als „aufgeputzten Baum“ erwähnte Goethe ihn in seinem 1774 erschienenen Roman „Die Leiden des jungen Werther“ – die Tanne versetzte die Menschen darin in „paradiesische Verzückung“. Meist war sie damals üppig verziert mit blank polierten, rotwangigen Äpfeln als Symbol für die Fruchtbarkeit, Lebkuchen und Rosen aus Seidenpapier, die symbolisch blühten. Bald war der Baum auch Standessymbol: Bei Thomas Manns „Buddenbrooks“ reicht der Weihnachtsbaum ganz unbescheiden fast bis zur Decke und ist mit Silberflitter, weißen Lilien und einem Engel auf der Spitze verziert.
Tradition und Mode
Ab dem 18. Jahrhundert trat der Christbaum übrigens von Deutschland aus seinen Zug in die Welt an, als die Auswanderer ihn mit nach Amerika nahmen. Heute unterliegt nicht nur die verwendete Baumart, sondern auch der Weihnachtsbaumschmuck aktuellen Trends, mal sind Pastellfarben angesagt, mal reduziertes Design. So manche Familie setzt trotzdem unbeirrt auf Familientradition und schmückt wie schon Oma mit bunten Glaskugeln, Lametta oder Zuckerstangen. Und anders als in den USA und in Kanada sowie in den vielen Ländern, in denen keine Nadelbäume wachsen und in denen zu Weihnachten ein künstlicher Tannenbaum aufgeklappt, geschmückt und manchmal sogar Tannenaroma aus der Dose versprüht wird, bevorzugen die meisten Familien hierzulande einen echten Baum. Um sich den schönsten, am geradesten gewachsenen Baum zu sichern, rücken viele Familien oft schon Anfang Dezember zu den Verkaufsstellen aus oder bewaffnen sich mit Säge und Axt und schlagen ihren Weihnachtsbaum selbst – was, so hört man, nicht nur eine liebgewonnene Tradition, sondern auch regelmäßiger Anlass für Streit um den schönsten Baum ist.
Nachhaltigkeit auch bei der Baumwahl
Und welcher Baum steht nun in den guten Stuben? Am beliebtesten ist tatsächlich der sprichwörtliche Tannenbaum: In drei von vier Haushalten findet die Bescherung heute unter einer Nordmanntanne statt. Das war nicht immer so. Bis zur Mitte des letzten Jahrhunderts standen vor allem Gemeine Fichten in deutschen Wohnzimmern, danach bevorzugte man die Blaufichte. Seit den 1980er Jahre ist die Nordmanntanne der Favorit, außerdem kommen Edeltanne, Fichte, Douglasie oder die schön duftende Kiefer zum Einsatz. Doch egal, welche Art – der Großteil der hierzulande aufgestellten Weihnachtsbäume stammen auch aus Deutschland, die meisten wachsen in Nordrhein-Westfalen. Nur rund zehn Prozent kommen aus benachbarten Ländern wie Dänemark, Ungarn, Polen, Österreich oder Tschechien. Und noch etwas haben rund 90 Prozent der hierzulande etwa 28 Millionen jährlich gekauften Weihnachtsbäume gemeinsam: Sie sind bereits nach rund zehn Jahren erntereif und stammen in der Regel aus Plantagen in Monokultur. Dort werden sie gedüngt und mit Pestiziden behandelt und belasten so Böden und Gewässer. Nur rund fünf Prozent der Bäume werden laut der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald im Rahmen der Waldbewirtschaftung direkt aus dem Forst entnommen. Wer einen ökologisch unbedenklich erzeugten Baum kaufen möchte, findet ihn bei einem der noch eher raren Bio-Baum-Anbietern, erkennbar u.a. durch ein Bio-Siegel wie Bioland, Demeter oder Naturland, und durch das FSC-Siegel des Forest Stewardship Council.
Völkerverständigung per Tanne
Eine liebgewonnene Tradition ist das jährliche Aufstellen berühmter Weihnachtsbäume an öffentlichen Plätzen, etwa der riesigen Fichte an der New Yorker Rockefeller Plaza, und mancher Nadelbaum dient nebenbei sogar der Völkerverständigung: So danken die Norweger den Briten bis heute für ihre Unterstützung im Zweiten Weltkrieg mit einem rund 20 Meter hohen Baum auf dem Trafalgar Square. Selbst der ehemalige Kriegsgegner Deutschland bekam nach der Wiedervereinigung einen norwegischen Baum, der am Brandenburger Tor erstrahlte. Und auch die isländische Hauptstadt Reykjavik erhielt in den letzten Jahrzehnten immer einen Christbaum aus Oslo, aus alter Verbundenheit. Ein weiterer, der „Hamburger Weihnachtsbaum“ steht dort traditionell am Hafen. Mit dem Baum dankte die Hansestadt nach dem Zweiten Weltkrieg Island und seinen Fischern, die Fisch nach Hamburg gebracht und kurzerhand Fischsuppe an die hungernde Bevölkerung verteilt hatten.
Timing ist alles (und überall anders)
Und nicht nur an öffentlichen Plätzen, auch in den eigenen vier Wänden wird der Baum in anderen Ländern manchmal schon zu Beginn der Adventszeit aufgestellt, etwa in Ecuador. Hierzulande darf er bei den meisten Familien, da ist man streng, erst am Heiligen Abend in die gute Stube – die die Kinder bis zur Bescherung dann oft nicht mehr betreten dürfen. Und während die Weihnachtsbäume im öffentlichen Raum in der Regel verschwinden, wenn die Weihnachtsmärkte enden, steht der Baum in Haus und Wohnung unterschiedlich lange. Wird er bei Protestanten meist schon am 6. Januar, am Tag der Heiligen drei Könige, vor die Tür geworfen, bleibt er in katholischen Familien teilweise bis Maria Lichtmess am 2. Februar stehen. Apropos hinausgeworfen: Für die Legende, dass in Schweden am 13. Januar, dem Knut-Tag, überall Weihnachtsbäume aus den Fenstern fliegen, ist im Wesentlichen das Möbelhaus Ikea mit seiner Werbekampagne verantwortlich. Wahr ist das so nicht. Tatsächlich stellen die Schweden ihre Bäume zwar rund um den St.-Knuts-Tag vor die Tür. Aus dem Fenster fliegen die Bäume aber nicht, weder in Schweden noch anderswo.