Ausflug, nah dran, Norddeutschland
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Vom Sanatorium zum Ausflugsziel: Beelitz-Heilstätten

Überall verfallene Gebäude, die ihre alte Schönheit aber noch ahnen lassen

Vor hundert Jahren heilte man hier die Tuberkulose. Heute sind die verfallenen Gebäude der Beelitz-Heilstätten ein Publikumsmagnet.
Vor den Toren Berlins liegt eine der größten medizinischen Anlagen, eigentlich fast schon eine eigene kleine Stadt: die Beelitz-Heilstätten. Einst ein Lost Place, kann man die Ruinen heute auf Führungen von innen besichtigen. Oder von oben, denn ein Baumkronenpfad führt über das Gelände – und auch mitten über das wuchtige Alpenhaus, das frühere Frauen-Sanatorium. Im neu gestalteten Park davor tummeln sich heute die Besucher*innen – Lost Place war mal. Faszinierend und ein bisschen spooky ist es hier trotzdem noch.

Die Arbeiterkrankheit

Die Beelitz-Heilstätten entstanden, um vor gut hundert Jahren die Tuberkulose zu heilen. Vor allem die Arbeiter traf die hoch ansteckende Krankheit gegen Ende des 19. Jahrhunderts hart. Viele von ihnen wohnten in erbärmlichen Verhältnissen in den großen Städten, in Berlin entstanden zum Beispiel wegen der Wohnungsnot zu Beginn der Industrialisierung Hinterhäuser. Die waren eng und ließen kaum einen Lichtstrahl hinein. Man hause mit Kind und Kegel in einem oder zwei Zimmern, es war feucht, kalt, unhygienisch. Teilweise vermieteten die Arbeiter ihr Betten sogar noch an Fremde. Waschgelegenheiten waren rar, die Toilette im Hof teilten sich viele Parteien. Mangelnde Ernährung und die harte, oft mit viel Ruß- und Staubentwicklung verbundene Arbeit leisteten der Tuberkulose ebenfalls Vorschub. Die hochansteckende Infektionskrankheit breitete sich rasend schnell unter den Arbeitern und ihren Familien aus. Sie husteten und wurden immer dünner und schwächer – Tuberkulose wurde deshalb auch Schwindsucht oder „die Motten“ genannt.

Heilung im Grünen

Ruine im Grünen

Ärztliche Hilfe oder gar ein Sanatorium konnten sich die Armen damals nicht leisten. Beides war einfach viel zu teuer. Das änderte sich, als 1887 eine Zwangsversicherung für Arbeiter eingeführt wurde. Nun konnte jeder Versicherte zum Arzt. Trotzdem war die Tuberkulose ein großes Problem, das in den verheerenden Wohnverhältnissen oft nicht gelöst werden konnte. Die Menschen mussten raus aus dem Elend, um gesund werden zu können. So begann die Landesversicherungsanstalt Berlin im Jahr 1900 südlich von Berlin den Bau eines Tuberkulose-Sanatoriums: die Beelitz-Heilstätten entstanden. 1902 waren die ersten Gebäude nahe der Stadt Beelitz in Brandenburg fertig.

Und was das für Gebäude waren! Bis heute lässt sich die frühere Pracht der großen, hellen Häuser erahnen. Ihre Architekten waren Julius Boethke und Heino Schmieden, ein Weggefährte von Bauhaus-Legende Martin Gropius. Die anreisenden Arbeiter*innen müssen überwältigt gewesen sein, wenn sie mit dem Zug aus Berlin hier ankamen. Eine Bahnanbindung und einen eigenen Bahnhof plante man nämlich gleich mit. Die insgesamt 600, später 1200 Kranken verbrachten hier Wochen und Monate und viele konnten ihr Glück kaum fassen, das belegen alte Briefe der Heilstätten-Bewohner: Kostenlos versorgt und behandelt in sauberer, heller, ja geradezu prachtvoller Umgebung, rundherum Wald, gute Luft und viel Platz. Kein Vergleich zu den Lebensbedingungen in ihren Berliner Hinterhöfen. Ein Platz, um gesund zu werden. Im Ersten und Zweiten Weltkrieg dienten die Heilstätten dann als Lazarett und Sanatorium für verwundete Soldaten. 1945 wurden sie von der Roten Armee übernommen und fortan als sowjetisches Militärkrankenhaus genutzt.

Der Baumkronenpfad der Beelitz-Heilstätten

Der Baumkronenpfad führt gut gesichert hoch oben durch das Gelände

Wir starten unseren Besuch in den Beelitz-Heilstätten mit einem Rundgang in luftiger Höhe. Seit fünf Jahren kann man auf dem Baumkronenpfad „Baum & Zeit“ rund um das Alpenhaus laufen – in gut 20 Meter Höhe. 2015 eröffnete der Pfad, derzeit wird an einer Erweiterung gebaut. Der Eingang zum Pfad liegt an einem 40 Meter hohen Aussichtsturm, von dem aus man bei klarem Wetter den Berliner Fernsehturm sehen kann. Heute zeigt er sich nicht, aber der Blick rundum ins Grüne, auf Wald von oben ist dennoch beeindruckend. Ein paar Gebäudeteile ragen hier und dort zwischen den Bäumen hervor.

Wald auf dem Alpenhaus

Auf halber Höhe des Turms beginnt der Baumkronenpfad. Er führt über das Gelände der ehemaligen Frauenheilstätte und am Alpenhaus, dem Frauenhaus, entlang, später sogar drüber hinweg. Zwischendurch erfährt man auf Tafeln ein paar Details zur Heilstätte – Sanatorien dieser Art gab es zu Beginn des letzten Jahrhunderts übrigens an vielen Stellen Deutschlands. Man hatte begonnen, auch im Flachland und nicht nur in den Alpen oder an der Küste Lungenheilstätten zu betreiben – mit Erfolg. Ab und zu gibt es auf dem Pfad auch etwas zur Natur und den umgebenden Bäumen zu lesen. Naturinteressierten bieten andere Baumkronen oder –wipfelpfade aber mehr Informationen und Erlebnisse, etwa der im Hainich oder in Bad Harzburg.

Das Alpenhaus, eins Frauen-Heilstätte

Auf halbe Strecke sehen wir den Eingang des Alpenhauses tief unten vor einem liegen, ein paar Leute stehen davor – später werden wir dort auch darauf warten, in die Ruine gelassen zu werden. Die Besichtigungszeit ist schon gebucht.

Der spannendste Teil des Baumkronenpfades kommt nun: Der Weg überquert das alte Gemäuer. Ein komisches Gefühl: Schaute man vorher rund 20 Meter tief, blickt man nun plötzlich in nur zwei, drei Meter Tiefe auf Waldboden. Vermeintlichen Waldboden: Tatsächlich haben sich auf dem schon eingestürzten Gebäude, also auf dem Dachboden und anderen Räumen, von alleine Bäume ausgesät. Mit der Zeit hat sich eine Humusschicht gebildet. Dieser einzigartige Dachwald, so werden wir später im Gebäude erfahren, sorgt sogar inzwischen dafür, dass die obere Etage der Ruine wieder einigermaßen dicht ist. Die Natur erobert sich ihren Platz zurück. Man sieht aber auch, dass viele Dach-Bäume die letzen beiden Dürresommer nicht überlebt haben.

Im Alpenhaus

Führung durchs Alpenhaus. Mit Helm, denn das Haus ist nur noch eine Ruine

Nach einem kleinen Päuschen im Park starten wir zur gebuchten Zeit mit der Besichtigung des Alpenhauses. Das heißt so, weil damals Lungen-Sanatorien vor allem im Alpenraum angesiedelt waren. Hier hat man deshalb gleich mal kurzerhand mit dem Aushub für das große Gebäude in der Umgebung Hügel und ein Alpental nachgebildet. Corona-bedingt tragen heute alle Besucher*innen einen Mundschutz, was gerade hier irgendwie auch ganz passend erscheint: Tuberkulose war wie Corona hochansteckend und wurde vor allem über das Anhusten weitergegeben. Im Gegensatz zum Corona-Virus ist das Tuberkulose-Bakterium inzwischen gut mit einem Antibiotikum behandelbar. Und dennoch sterben noch immer jedes Jahr 1,5 Millionen Menschen daran, darunter 200 000 Kinder. In Ländern wie Indien, China, Nigeria oder Südafrika, wo oft Mangelernährung oder eine HIV-Infektion die Menschen zusätzlich schwächt, hat das Bakterium leichtes Spiel. Die Welt kämpfen derzeit mit viel Energie gegen Corona – die Tuberkulosetoten werden seit Jahrzehnten stillschweigend hingenommen.

Wir erfahren, dass die Beelitz-Heilstätten eigentlich eine eigene Stadt waren, mit  Kraftwerk, großer Küche, Gewächshäusern, Laborgebäude, Chirurgie und eben den großen Wohn- und Therapiehäusern für Männer und Frauen. Streng getrennt, was wohl manchmal zu Unmut führte – wie auch das spätere Rauchverbot in den Therapie- und Wohngebäuden. Insgesamt 60 Gebäude standen auf 200 Hektar Grund, die Beelitz-Heilstätten sind heute denkmalgeschützt.

Der frühere Speisesaal

Hier waren einst Schlafzimmer

Heute eine düstere Ruine, in der Schutt auf dem Boden liegt und die Wände mit russischen Worten und Graffiti beschmiert sind, muss das Alpenhaus einst ein heller, luftiger, sauberer Ort gewesen sein. Der sehr durchdacht und hygienisch war: Die Bodenfliesen vom renommierten Hersteller Villeroy & Boch waren etwa an den Kanten gerundet, die mit heißer Luft erwärmten Heizkörper von der Wand abklappbar. Beides, um die Böden und Wände penibel putzen zu können. Man wohnte in hellen Zimmern, ging zur Bade- und Liegekur im gleichen Haus und bekam fünf nährreiche Mahlzeiten pro Tag – allein das eine Sensation für die meist armen Patientinnen. Alte Fotos zeigen, wie die früheren Bewohnerinnen mit Handtuch auf ihre Bäder warten oder im Spielezimmer zusammen spielen.

Ein altes Foto zeigt Patientinnen beim Zeitvertreib

Russisches Lazarett und Zufluchtsort von Honecker

Heute: gähnende Leere

Kunst und alte Sowjetstiefel

Die Schlacht um Berlin Anfang Mai 1945 und das nahe Ende des Krieges läutete gleichzeitig das Ende der Beelitz-Heilstätten ein. Die russischen Besatzer richteten nun in den Heilstätten-Gebäuden ihr Armeekrankenhaus ein und betrieben es die DDR-Zeit über. Ab den 1990er Jahren, nach Abzug der Sowjets, verfielen die Gebäude dann zusehends. Zuvor hatte Erich Honecker mit seiner Frau Margot Asyl in den Heilstätten gesucht und dort eine Zeitlang zwei Zimmer in der ehemaligen Chefarztvilla bewohnt. Später floh der ehemalige DDR-Staatsratsvorsitzende zuerst nach Moskau, dann nach Chile.

In der Zwischenzeit sind in den architektonisch schönen, verfallenen Gebäuden einige Filme und Serien gedreht worden, etwa Teile von Polanskis „Der Pianist“, die Band Rammstein drehte hier das Video zu „Mein Herz brennt“. Der Horrorfilm „Heilstätten“ aus dem Jahr 2018 spielt zwar in Beelitz, wurde hier aber nicht gedreht. In den verfallenen Gebäuden, die sich die Pflanzen zurückerobern, finden inzwischen auch viele Tiere Lebensraum. Neben zahlreichen Vögeln leben hier Waschbären, Füchse, Marder, Dachse, Eichhörnchen, Mäuse, Fledermäuse und viele mehr.

Infos zu Beelitz und den Heilstätten

Info: www.baumundzeit.de, geöffnet tägl. 10-19 Uhr
Baumkronenpfad Baum & Zeit: 11 €
Führung durch z.B. Alpenhaus, Chirurgie, Labor, Küche: 11 €

Leider gibt es bisher kein Online-Vorbuchungssystem für die Führungen. Es kann also sein, dass man extra anreist und erst an der Kasse erfährt, dass die Führung, die man machen wollte, für die gewünschte Zeit oder sogar für den ganzen Tag schon ausgebucht ist. Dann kann man nur auf den Baumkronenpfad und sich die Zeit anschließend bei einem Kaffee im Park vertreiben. Ganz nett, aber auch etwas skurril sind die alten Metallbetten, die dort an mehreren Stellen stehen, manche davon sind bepflanzt.

Tipp: Beelitzer Spargel ist weit über die Region hinaus bekannt. Die Stangen stehen auch als Maskottchen mit Gesicht an mehreren Stellen in der Kleinstadt Beelitz rum – naja… Im Mai und Juni könnt ihr hier jedenfalls in fast jedem Restaurant tagesfrischen Spargel essen – lecker zum Beispiel in der Alten Brauerei. Oder ihr fahrt auf der Beelitzer Spargelstraße entlang und sucht euch unterwegs ein nettes Restaurant (wobei ich gerade gar nicht weiß, ob das derzeit ohne Reservierung geht?).

Lust auf mehr Lost Places? Wir hätten welche in Nordspanien. Und ein paar Tipps fürs nahe Berlin.

Weiter Infos zu Brandenburg als Reiseland und zu den Beelitz-Heilstätten bekommt ihr auf den Seiten von Tourismus Marketing Brandenburg.

2 Kommentare

  1. Schöne Impressionen. Da wollte ich auch schon immer mal hin. Aber die das so ist, die am nächsten liegenden Ziele (von mir 15 Minuten Bahnfahrt) kommen immer zu kurz. Eher reist man um die halbe Welt.

  2. Da ist was dran… dabei verpasst man oft echt was. Und letztlich ist es doch auch so: Andere Menschen reisen aus weit entfernten Lnändern an, um sich das hier anzuschauen. Irgendwie doch ziemlich absurd 🙂 … 15 Minuten ist jedenfalls echt ziemlich nah!
    Liebe Grüße
    Anke

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