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Imst: Die Fasnacht mit den Buaben – eine alte Tradition

Auch wenn laut dem Düsseldorfer Pressesprecher vorgestern (an Altweiber) Pandemie bedingt „Tote Buxe“ auf dem Rathausplatz der Stadt am Rhein herrschte: Die wahren Karnevalisten tragen die fünfte Jahreszeit für ewig im Herzen – und hoffen aufs nächste Jahr. Dass sie dann wieder Altweiber das Rathaus stürmen – und in der Altstadt groß feiern. Alle vier Jahre wird übrigens auch in der gemütlichen Brunnenstadt Imst in Tirol die „Buabefasnacht“ zelebriert – einmalig im Alpenraum. Ich habe den jungen Imster Andi vor einiger Zeit in Österreich besucht.

Im Mittelpunkt
Zum ersten Mal in seinem Leben fühlt er sich ganz, ganz groß, lässt sich heute von vorne bis hinten von den Frauen im Hause bedienen. Andi Klingenschmid aus Imst sitzt vor dem weiß verputzten Kamin und hält seine Hände ausgestreckt nach vorne. Sie stecken in weißen, gehäkelten Handschuhen mit edel pinken Rosetten. Als ob er gleich die Nägel lackiert bekommt. Alle zupfen gleichzeitig an dem damals Zwölfjährigen herum, der sich gerade in die bestickte schwarze Lederhose und das weiße Leinenhemd mit grüner Scherpe zwängt. Mutter, Oma, die Schwestern.

Andi wird erwachsen
„Aua, du stichst mir in die Wade.“ Andi wirft der Großmutter, die zu seinen Füßen hockt, einen bösen Blick zu. Die Frauen nähen rosa Satinbänder an die Kniebundhose und die weißen Strümpfe an, befestigen die Handschuhe an den Hemdsärmeln. Heute darf nichts verrutschen – alles muss perfekt sein. Denn Andi wird erwachsen, er tritt ein in die langersehnte Welt der Männer im österreichischen Imst.

Eine große Ehre
Der Sechstklässler, der sonst im Tiroler Oberland die Skipisten runtersaust, darf „in die Fasnacht gehen“ – mit einem ganz besonderen Gewand. Eine große Ehre. Eine Tradition seit 1938, als ungeduldige Imster Buben eine wilde „Fasnacht“ organisierten: die Maske vom Vater geliehen, den Rock vom Onkel, Schellen vom Dachboden. Alle vier Jahre wird nun die „Buabefasnacht“ abgehalten, ausschließlich Knaben im Alter von sechs bis 16 Jahren dürfen mitmachen bei dem siebenstündigen Spektakel. Die nächste wird am 13. Februar 2022 in Imst stattfinden.

„Buabefasnacht“
Sie gleicht dem berühmten „Schemenlaufen“ der Erwachsenen (siehe Infokasten ganz unten) in Imst – seit 2010 immaterielles Unesco-Weltkulturerbe. Alle Maskenfiguren sind vertreten. Der Ablauf, der Umzugsweg ist der gleiche, nur die Zahl der Umzugswagen ist auf die der Hexen und der Bären beschränkt – während es bei den Erwachsenen noch andere Figuren gibt. Der Triumph des Frühlings über den Winter wird bei beiden zelebriert.

„Ich hab’ zu Gott gebetet, dass ich nach zwei Mädchen noch einen Sohn bekomme.“ Daniela Klingenschmid schaut ihren Andi mit wässrig-verliebten Augen an und bindet ihm die rosa Schleife am Hemdsärmel gerade. Doch ihr Bub geht nicht etwa als Bayer, er ist Scheller.

Schellriemen wiegen um die 35 Kilo
Noch im Wohnzimmer legen ihm die Männer des Hauses den Schellriemen mit den 35 Kilo schweren „Klöpfen“ – handgeschmiedete, eckige Kuhglocken – um Hüfte und Bauch. Andi geht ein paar Schritte vorwärts, schwingt sie gekonnt rhythmisch mit dem Becken und Schultern hin und her – das „Gschallen“. Lautes, dunkles Glockenschlagen, Klackern. Das Gewicht hört man. Als ob 20 Kühe die Alm hochtraben.

Blut und Schweiß muss man riechen
„Jetzt seid ihr wohl doch ruhig geworden“, sagt er in die Runde Erwachsener. Der Junge grinst übers ganze Gesicht. Schon sein Vater war Scheller in der Fasnacht, verkörperte den Winter mit einer alten Larvenmaske. Man kauft sie nicht bei den traditionsbewussten Larvenschnitzern im Ort, man leiht sie von ihnen. „Blut und Schweiß des Vorgängers muss man in der Maske riechen, fühlen können“, erklärt mir Andis Mutter den Brauch. Das rund 70 Zentimeter hohe Kopfgestell – der Aufputz – aus Büscheln von farbigen Pfeifenputzern, seidenen, goldenen Röschen, weißen Perlen und in der Mitte ein großer Spiegel hat sie in stundenlanger Feinstarbeit angefertigt.

„Aufzug“ quer durch Imster Altstadt
„Der Spiegel vertreibt böse Geister“, weiß der Sohn. Jetzt wird’s ernst. Zehn Uhr morgens. Er legt die kunstvoll bemalte Holzmaske mitsamt Aufputz an. Schwungvoll zieht sich der Schnurrbart in die Breite, der Bub wirkt mit den buschigen Augenbrauen, den vielen Falten plötzlich seriös, maskulin – ja fast erwachsen. Würdig, nun die alte Familientradition der Scheller weiterzuführen. Es geht los, zum „Aufzug“ quer durch die Altstadt von Imst mit all den anderen Figuren: Bauchnabel große Hexenmusikanten, Bären, etwas verloren wirkende Vogelhändler mit Holzkäfigen und Stoffkanarienvögeln auf dem Rücken, Kaminer, die an Häuserwänden lebensmutig emporklettern.

 

Den Eltern geht das Herz auf
An Andis Seite ist Freund David Grüner, der mit seiner zierlichen, fast weiblichen Erscheinung einen hervorragenden Roller abgibt. Ebenfalls in Lederhose, aber Spitzenschleier auf dem Haupt und Rollenschellen um den Bauch, trägt der Zwölfjährige eine lieblich-glatte, rot lipprige Larve mit Aufputz. Roller und Scheller – zentrale Gestalten des Schauspiels bei der „Buabefasnacht“. Am nächsten Brunnen präsentieren die beiden ihren monatelang geprobten „Gangl“: David als jugendlicher Roller tänzelt dem machtdemonstrierenden Scheller elegant voraus und springt mit aller Kraft immer wieder in die Höhe, während der „alte“ Andi mit seinen Glocken ordentlich läutet. 

Der Fasnachtsmarsch beginnt
Um Punkt zwölf, wenn die große Glocke der Pfarrkirche dreimal geläutet hat, beginnt der eigentliche Umzug. „Larven auf!“ heißt’s. Die Stadtmusiker spielen den „Fasnachtsmarsch“ – und all den Müttern, Vätern und Großeltern geht das Herz auf, wenn 300 junge Fasnachtler einzeln unter dem großen Kirchenturm aufziehen. Das grob-sanfte Ordnungspersonal aus Wifligsacknern – wild gewordenen, hässlichen Bäuerinnen mit ausgestopften BHs und um sich schwenkenden Säcken – und barocken Spritzern mit Wasserpumpen ebnet den Rollern und Schellern den Weg durch die Menschenmasse am Wegesrand, formt einen großen Kreis für sie.

Andi und David suchen zuerst Andis Mutter in der Menge, holen sie in den Kreis und präsentieren ihr ein „Ehrengangl“, stolz entrichtet diese ein Obolus – sie wird „eingeführt“. Wieder ist die Rede von der großen Ehre. Doch Eltern und Betreuer sind immer in der Nähe während des Umzugs, ein „Gangl“ nach dem anderen folgt.

Hochleistungssport – Durchhalten ist angesagt
Doch aufgeben? Plötzlich taucht Andis Vater im Kreis auf, mit einem Strohhalm und einer Wasserflasche bewaffnet sucht er die beiden Jungs. Er schiebt den Strohhalm zwischen die Lippen ihrer Larven, gierig saugen die zwei die Erfrischung in sich auf. Ein aufmunterndes Tätscheln auf den Rücken. Aufgeben ist ein Fremdwort für fast alle Aktiven – die Larven abzunehmen ebenso. Selbst die Hexenmusikanten, viele gerade erst sechs geworden, halten durch bis zum bitteren Ende. Als Scheller Andi am Schluss seine gehäkelten Handschuhe auszieht, blickt er überglücklich in die Augen seiner Mutter: „Und jetzt will ich ein dickes Schnitzel.“

Wer gern noch eine andere Geschichte von uns zu Österreich lesen würde, hier noch 11 weitere Tipps zu Tirol und ein leckeres Rezept aus dem Tiroler Stanglwirt. Unterstützt bei der Reise hat mich damals Österreich Werbung und Imst. Wenn ihr mal in der Brunnenstadt vorbeischaut, solltet ihr auch nicht das Imster Fasnachtshaus verpassen, ein historisches Museum zu den alten Fasnachtsbräuchen mit tollen alten Masken. Ein Besuch wert!

Und zur Erinnerung an meine letzte Karnevalsparty – und weil auch ich ein Karnevalskind bin, ein kölsches Mädche!! Hier noch ein Bild an die Party nach dem Motto „Es leben die goldenen 1920-er Jahre“! Lauter heiße Feger in Düsseldorf ….

 

 

Imster „Schemenlaufen“

Das Imster „Schemenlaufen“ ist ein Fasnachtsbrauch. Es findet alle vier Jahre statt – also im Februar 2024 das nächste Mal, meist am Sonntag vor dem „Unsinnigen Donnerstag“ (dem letzten Donnerstag vor Fasnacht). Es dauert von früh morgens bis genau 18 Uhr. Der Tradition zufolge dürfen nur Männer teilnehmen. Sie verkörpern die männlichen und weiblichen Figuren. Die Partnerinnen der Teilnehmer sind für die Gewänder zuständig. Das „Schemenlaufen“ gehört zum Immateriellen Welterbe der UNESCO. Im Hexendorf Tarrenz im Gurgltal, dem Nachbarort von Imst, gibt es übrigens am 30. Januar 2022 die nächste Fasnacht – inklusive dem Maskenpaar Roller und Schaller, wer es schon früher im Gurgltal erleben möchte.

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